Z Geburtshilfe Neonatol 2018; 222(04): 171-172
DOI: 10.1055/a-0636-6204
Die Deutsche Gesellschaft für Perinatale Medizin informiert
Kommentar
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Die Zukunft der Perintatologie

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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
07. August 2018 (online)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Hebammen,

die Zukunft der Perintatologie ist ein Thema, das die beteiligten Fachdisziplinen, die Politik, aber natürlich auch die zukünftig betroffenen Schwangeren brennend interessieren sollte. Denn eine positive Gestaltung der Zukunft gelingt am zuverlässigsten, wenn Probleme frühzeitig erkannt und die erforderlichen Maßnahmen rechtzeitig getroffen werden. Zusätzlich zur stationären Betreuung um die Geburt, muss auch die Versorgung vor und nach der Geburt eingebunden sein. Es ist nun nicht ganz einfach die Zukunft vorherzusagen, wir sollten es aber trotzdem versuchen. Schon Karl Valentin hat die „Probleme“ bei der Beschäftigung mit der Zukunft pointiert zusammengefasst: „Die Zukunft war früher auch besser“ und „Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen“.

Um Ziele für die Zukunft beleuchten zu können, muss man den Istzustand reflektieren. Analysiert man den Istzustand der Perinatologie im Verlauf der Geschichte, dann muss man konstatieren, es geht uns unglaublich gut. Die Kinder- und Müttersterblichkeit ist dramatisch gesunken, die Patienten können eigenverantwortlich mitbestimmen und die Arbeitsbelastung hat mit Umsetzung des Arbeitsszeitgesetzes deutlich abgenommen. Perinatologische Entwicklungsländer wie die Dritte Welt und die USA wären begeistert, wenn sie unseren Istzustand hätten. Das heißt natürlich nicht, dass wir es „geschafft“ haben, es gibt eine Reihe von teils ernsten Problemen, die noch zu lösen sind. Es sind derzeit 3 Schwerpunkte zu erkennen:

  1. Einfluss der Digitalisierung und der Künstlichen Intelligenz (KI)

  2. Umsetzung von neuen Diagnose- (Whole Genome Sequencing) und Therapiekonzepten (Gentherapie, Stammzelltherapie)

  3. Vorhandensein von ausreichend hoch qualifiziertem Fachpersonal

Die Digitalisierung wird die Betreuung und die Abläufe in der Perinatologie zunehmend beeinflussen, auch wenn hier Deutschland derzeit keine Vorreiterrolle einnimmt. Der Mutterpass inklusive sämtlicher Ultraschallbefunde wird sicher auf einem Chip und auf dem Handy der Schwangeren abgespeichert sein. Die zusätzliche Erstellung von schriftlichen Krankenunterlagen wird entfallen und die Archivierung der Daten wird dadurch wesentlich erleichtert werden. Hier gilt es effektive Programme zu entwickeln, die eine Vernetzung von mütterlichen und kindlichen Daten ermöglichen.

Die Bereitstellung von ausreichend hochqualifiziertem Personal ist bereits jetzt ein Problem. Vor allem im Pflegeberuf besteht derzeit definitiv ein Mangel an qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Hier müssen finanzielle Anreize geschaffen werden, damit der Pflegeberuf weiterhin attraktiv bleibt. Politische Vorgaben für Mindestanforderung z. B. in der Betreuung von Frühgeborenen anzuordnen, ohne vorher ausreichend Pflegkräfte ausgebildet zu haben, ist kein Konzept mit dem man die Zukunft effektiv gestalten kann.

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Prof. Dr. med. Franz Kainer, Präsident der DGPM

Auch der Hebammenmangel ist bereits ein reales Problem. Der Hebammenmangel ist in erster Linie dadurch entstanden, dass sich das Arbeitsgebiet der Hebammen stark verändert hat – ohne, dass die Zahl der Ausbildungsstellen erhöht wurde. Die Betreuung der Frauen vor und nach der Geburt hat einen hohen Stellenwert erreicht. Das ist zweifelsohne ein großer Vorteil für die Schwangeren und entbundenen Frauen, nur fehlen jetzt die Hebammen in den Kreißsälen. Für den Hebammenmangel unter der Geburt werden Gründe wie Zentralisierung der Geburtshilfe, hohe Versicherungsprämien sowie hierarchische Strukturen in den Kliniken vorgeschoben, diese Faktoren sind jedoch praktisch bedeutungslos. Auch die längst fällige Akademisierung der Hebammenausbildung wird den Hebammenmangel in den Kreißsälen nicht verbessern. Die einzige zielführende Maßnahme, Hebammen wieder für die Betreuung von Geburten zu begeistern, ist eine deutliche Anhebung der finanziellen Entlohnung von angestellten Hebammen. Die sehr anspruchsvolle Tätigkeit, vor allem wenn mehrere Frauen zu betreuen sind, muss entsprechend entlohnt werden. Da Geburten nicht planbar sind, muss ein flexibles Beschäftigungsmodell vorhanden sein. Das derzeit vernünftigste System wird von frei praktizierenden Hebammen in Kliniken vorgehalten: die Anzahl der Hebammen wird von der Anzahl der anwesenden Gebärenden abhängig gemacht. Leider wurde dieses System vom Verband der freiberuflichen Hebammen und dem Spitzenverband der Kassen torpediert, indem man extreme Mehrbelastungen bei hohem Patientenaufkommen nicht mehr honoriert. Mit diesen Maßnahmen wird man den Hebammenmangel an Kliniken eher steigern und die wünschenswerte 1:1- bis 1:2-Betreuung wird dadurch noch unwahrscheinlicher. Wird dem Hebammenmangel in den Kreißsälen nicht zügig, sowohl von politischer Seiten als auch von den Fachgruppen, entgegengewirkt, dann bleibt als Ausweg eigentlich nur das Hebammengesetz aus dem Dritten Reich (Reichshebammengesetz 1938) wieder zu ändern. Die Geburt wird dann wie in vielen anderen Ländern, von Ärzten und dem Pflegedienst übernommen. Dies ist weder im Interesse von Hebammen noch der Wunsch der Gebärenden.

Auch die derzeit sehr gute Betreuung durch praktisch tätige Gynäkologen steht auf dem Prüfstand, da es für Ärzte zunehmend unattraktiver wird, in die Praxis zu gehen. Die sehr wichtige persönliche Betreuung durch eine Bezugsperson wird wegfallen, wenn es ausschließlich Praxisgemeinsaften mit wechselnden Untersuchern geben wird. Ob eine empathische Betreuung durch den in Zukunft vorhandenen „virtuellen Internetarzt“ aufgefangen wird, ist nicht sehr wahrscheinlich.

Die Ausbildungssituation in den Kliniken ist durch das Arbeitszeitgesetz, den hohen Anteil von Teilzeitstellen sowie durch die rasante Weiterentwicklung der Medizin schwierig geworden. Hier sind neue Wege der Ausbildung (einheitliche Kurskonzepte, internetbasierte Ausbildungskonzepte, Praxisgerechte universitäre Ausbildung, Abschaffung des Numerus clausus für Medizinstudenten usw.) erforderlich. Für die Umsetzung sind klinisch und wissenschaftlich hoch qualifizierte universitäre Perinatalzentren erforderlich. Hier besteht in Deutschland großer Nachholbedarf, denn bis auf wenige Ausnahmen ist die Pränatalmedizin und Geburtshilfe an den meisten Universitäten ein geduldetes Anhängsel der Gynäkoonkologie. Im Bereich der Pädiatrie ist vor allem die Kinderchirurgie als eigenständiger Fachbereich zunehmend gefährdet.

Wie die Perinatalmedizin in 20 bis 30 Jahren genau aussehen wird, das kann definitiv nicht vorhergesagt werden. Digitalisierung und Künstliche Intelligenz werden jedoch zweifelsohne eine große Rolle spielen. Die Bewältigung der sehr hohen Anforderungen werden wir nur durch ein sehr gut ausgebildetes, teamfähiges, gut bezahltes Fachpersonal bewältigen. Die Rahmenbedingungen dazu müssen jetzt geschaffen werden. Dafür ist eine enge Kooperation der politisch verantwortlichen Fachgremien sowie der medizinischen Fachgesellschaften erforderlich. Von Seiten der Gesellschaft für Perinatale Medizin versuchen wir hier als Katalysator zu wirken.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr