Balint Journal 2018; 19(03): 72-76
DOI: 10.1055/a-0663-7453
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Elemente der Diversität – das Unterschiedliche, das Fremde, das Ferne, das Unvertraute und das Unverstehbare in der Balint-Arbeit[*]

Aspects of Diversity – The Different, the Strange, the Distant, the Unfamiliar, and the Incomprehensible in Balint Work
Nina Arzberger
1   Psychoanalytische Praxis, Wien
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Publication Date:
24 September 2018 (online)

Zusammenfassung

Unter Verwendung von Vignetten aus Balint-Gruppen legt die Arbeit ihr Augenmerk auf das, was als fremd, bedrohlich oder unbegreiflich wahrgenommen wird, und wie Abwehr-mechanismen – z. B. Verleugnungen und Verschiebungen – eingesetzt werden, um mit Vorgängen, die vom Vertrauten abweichen, fertig zu werden. Wenn wir das Verschiedenartige oder das Fremde verstehen möchten, wenn wir nach einem Kontext suchen, der Sinn ergibt, müssen wir unsere eigenen „fremden“ Gefühle mit einbeziehen. Das bedeutet, das Unterschiedliche als etwas Wertvolles zu sehen, nicht als etwas, das wir loswerden müssen. Unsere Entscheidung hängt hier davon ab, wie offen wir uns an unsere eigenen innersten Phantome heranwagen[1].

Abstract

Using vignettes from Balint groups, the paper concentrates on what is experienced as strange, threatening, or incomprehensible, and how defense mechanisms – such as disavowal and displacement – are being used when dealing with something which diverges from the familiar. If we want to understand the different or the foreign, if we are looking for a context which makes sense, we need to include our own “foreign” feelings. It means seeing the differences as something valuable, and not as something we need to get rid of. Our decision here depends on how we dare to tackle our own innermost ghosts.

* Die englische Originalarbeit wurde für einen Vortrag auf der International Balint Conference in Oxford im September 2017 geschrieben. Übersetzung ins Deutsche von der Autorin.


1 In meiner Zusammenfassung nehme ich das Wort Phantom aus dem letzten Satz meiner Schlussbemerkung. Dort steht es in einem längeren Zitat von Julia Kristeva, von deren Buch (Étrangers à nous mêmes, 1988) es – im Unterschied zu Luce Irigaray, die ich in der Einleitung zitiere – auch eine deutsche Übersetzung im Suhrkamp Verlag gibt (Fremde sind wir uns selbst, 1990), aus der ich das Zitat wortwörtlich übernommen habe – „vertraut mit unseren eigenen Phantomen“. Ich habe mir eigens für meine Übersetzung das französische Original angesehen, und dort heißt es: „[…] il dépend de notre familiarité avec nos propres fantômes“. Die englische Übersetzung (Strangers to Ourselves, 1991), die ich für den Vortrag in Oxford verwendet habe, spricht ganz eng daran angelehnt von „how familiar we are with our ghosts“. Das Interessante hier ist der jeweilige berufliche Hintergrund: in der Medizin bedeutet das Phantom 'etwas Nachgebildetes oder auch Eingebildetes (z. B. Phantomschmerz). In der Psychoanalyse – und Kristeva ist auch Analytikerin – hat es mit dem Unheimlichen zu tun, mit den inneren Geistern, von denen wir geplagt, heimgesucht, verfolgt werden. In dieser Bedeutung verwende ich es auch in meinem Text. Im Zitat geht es dementsprechend auch um unsere eigene „unerklärliche Andersheit“, um unsere innere Beunruhigung dann, wenn wir unsere inneren Geister in Gestalt unseres eigenen Fremden entdecken, was uns durchaus auch unheimlich sein kann – unsere Phantome also, denen wir uns stellen müssen, wollen wir das Fremde, das Andere von Anderen verstehen.


 
  • Literatur

  • 1 Alameddine R. An Unnecessary Woman. London: Corsair; 2015: 1 (eigene Übersetzung, N.A.)
  • 2 Cassavetes J. Quoted. in: Carney R. The films of John Cassavetes. Pragmatism, modernism, and the movies. Cambridge: Cambridge University Press; 1994: 312
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  • 4 Bacon F. (1612), In: Wysocki, G. Verwundung oder Vervollkommnung. Über Körperkunst und Zukunftskörper. In: Bernhofer M. (Hrsg.) Fragen an das 21. Jahrhundert. Wien: Zsolnay; 2000: 245-254 (eigene Übersetzung, N.A.)
  • 5 Tribe R, Morrisey J. Good practice issues in working with interpreters in mental health. In: Intervention. Journal of Mental Health and Psychological Support in Conflict Affected Areas 2004; 2/2: 129-142
  • 6 Ryan J. Elision and disavowal. The extrusion of class from psychoanalytic discourse and practice. In: Sitegeist A. Journal of Psychoanalysis and Philosophy. London: Karnac; 2009: 3: 27–39 (eigene Übersetzung, N.A.)
  • 7 Ryan J. Class is in you: An exploration of some social class issues in psychotherapeutic work. In: British Journal of Psychotherapy 2006: 23/1: 49–62 (eigene Übersetzung, N.A.)
  • 8 Parin P. Die Mystifizierung von Aids. In: Sigusch V. (Hrsg.) Aids als Risiko. Über den gesellschaftlichen Umgang mit einer Krankheit. Hamburg: Konkret Literatur Verlag; 1987: 54-66
  • 9 Kristeva J. Fremde sind wir uns selbst. Frankfurt: Suhrkamp; 1990: 208-209 Titel der Originalausgabe: Étrangers à nous-mêmes, Paris: Librairie Arthème Fayard; 1988