Erfahrungsheilkunde 2018; 67(06): 324-328
DOI: 10.1055/a-0795-1154
Wissen
© MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG Stuttgart · New York

Ethik der Pränataldiagnostik

Giovanni Maio
Weitere Informationen

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
02. Januar 2019 (online)

Zusammenfassung

Der ursprüngliche Zweck der Pränataldiagnostik war, die Schwangere psychisch zu entlasten und das Wohl des Kindes zu fördern. Die Kehrseite der segensreichen Möglichkeiten der Pränataldiagnostik zeigte sich im Verlauf zunehmend in der Tendenz, immer mehr Schwangerschaften als Problemfälle einzustufen, die Mutter vor einem nicht genehmen Kind zu „schützen“ oder nur jene Kinder zu akzeptieren, die dem Lebensideal der Eltern entsprechen. Die Gründe dafür sind vielfältig, zeitigen jedoch einen Verlust des unbefangenen Umgangs mit der Schwangerschaft. Die Entscheidung für oder gegen einen Test oder die Konfrontation mit einem positiven Testergebnis, mit dem die Schwangere oft in tiefer Not alleingelassen wird, stehen im Gegensatz zur gesellschaftlich geforderten „Inklusion“ von Menschen mit Behinderungen. Genau hier sollte die Medizin als soziale Praxis ansetzen, damit Schwangere auch psychosozial ausreichend versorgt werden und nicht nur technisch.

Abstract

The original purpose of prenatal diagnostics was to relieve the pregnant woman psychologically and to promote the well-being of the child. The downside of the beneficial possibilities of prenatal diagnostics increasingly manifested itself in the tendency to classify more and more pregnancies as problem cases, to “protect” the mother from an unpleasant child or to accept only those children who correspond to the parents’ ideal of life. The reasons for this are numerous, but they result in a loss of an unbiased handling of the pregnancy. The decision in favor or against a test or the confrontation with a positive test result, the pregnant woman often is left alone to deal with in deep distress, is in contrast to the socially required “inclusion” of people with disabilities. This is exactly, where medicine should start as a social practice, so that pregnant women can also receive adequate psychosocial care and not just technical care.

 
  • Literatur

  • 1 Duden B. Der Frauenleib als öffentlicher Ort. Frankfurt am Main: Mabuse; 2007
  • 2 Dederich M. Ethik und ärztliche Rolle in der Pränatalmedizin. Kinderkrankenschwester 2008; 27 (11) 476-480
  • 3 Francke R, Regenbogen D. Rechtsgutachten: Der Schutz des Selbstbestimmungsrechts der Frau bei der Betreuung nach den Mutterschafts-Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen. In: Netzwerk gegen Selektion durch Pränataldiagnostik Rundbrief 13: Sonderheft Rechtsgutachten S. 6-28
  • 4 Gerdts J. Bedeutungen von pränataler Diagnostik für Menschen mit Behinderungen. Bochum: Projekt Verlag; 2009
  • 5 Maio G. Werte für die Medizin. Warum die Heilberufe ihre eigene Identität verteidigen müssen. München: Kösel; 2018
  • 6 Samerski S . . Die verrechnete Hoffnung. Von der selbstbestimmten Entscheidung durch genetische Beratung. Münster: Westfälisches Dampfboot; 2002
  • 7 Stengel-Rutkowski S. Möglichkeiten und Grenzen pränataler Diagnostik. In: Petermann F, Wiedebusch S, Quante M. Hrsg. Perspektiven der Humangenetik. Medizinische, psychologische und ethische Aspekte. Paderborn: Schöningh; 1997: 49-80