Zusammenfassung
Die vollständige Sequenzierung des menschlichen Genoms demonstriert als ein grundlegendes
Beispiel eindrucksvoll die Entstehung einer großen Datenmenge (engl.: big data) in Wissenschaft und Medizin. Die Entschlüsselung des menschlichen Genoms stellt
das bemerkenswerte Ergebnis multidisziplinärer Zusammenarbeit dar und gilt als eines
der größten und erfolgreichsten Vorhaben der Menschheitsgeschichte. Die Bedeutung
dieser Entdeckung lag nicht nur darin, die Sequenz von 3,2 Milliarden Nukleotiden
des humanen Genoms zu identifizieren, sondern in Zukunft auch krankheitsassoziierte
Variationen zu verstehen und dieses Wissen auf individualisierte Behandlungsansätze
der personalisierten Medizin anzuwenden. Die Genomik hat sich seitdem mit bemerkenswerter
Geschwindigkeit weiterentwickelt. Hierzu haben im Wesentlichen digitale, technologische
Fortschritte in der Sequenzierung, Computer- und Bioinformatik wesentlich beigetragen.
Die dadurch entstandenen großen genomischen Datenmengen haben den Begriff „big data“
hervorgebracht. Die heutige bioinformatisch geleitete Einzelfallanalyse genetischer
Befunde im Krankheitskontext erfordert in der Regel die Verwendung mehrerer großer
Datenmengen. Diese Datenmengen liegen in Form von strukturierten genetischen Datenbanken
vor und werden bspw. im Rahmen von in silico Analyseprogramme und Allel-Häufigkeitsanalysen verwendet. Die aktuellen Technologien
der Hochdurchsatzsequenzierung sind in der Lage kostengünstige und qualitativ hochwertige
Daten zu erzeugen. Dies reicht von der Analyse mit gezielten krankheitsassoziierten
Gen-Panels, über die Exom Analyse, bis hin zur Entschlüsselung des gesamten Genoms.
Diese neuen Möglichkeiten haben die Diagnostik von Erbkrankheiten revolutioniert und
wirken sich auf die Diagnostik der genetischen Schwerhörigkeit aus.
Die Analyse der genetischen Grundlagen der vererbbaren Form des Hörverlusts ist aufgrund
großer genetischer Heterogenität und klinischer Variabilität in 2-facher Hinsicht
eine besondere Herausforderung. Es sind bereits über 150 Gene bekannt, die an nicht-syndromalen
und syndromalen Formen des Hörverlusts beteiligt sind. Das Mutationsspektrum eines
einzelnen Hörverlust-assoziierten Gens kann mehrere zehn bis hunderte von pathogenen
Varianten aufweisen. Darüber hinaus kann die Interpretation neuer Varianten eine Herausforderung
darstellen, insbesondere, wenn widersprüchliche Informationen in Datenbanken hinterlegt
wurden. Detaillierte und strukturierte phänotypische Informationen haben sich in der
Diagnostik einiger Formen des Hörverlusts als äußerst vielversprechend erwiesen, sind
aber bisher nicht für alle genetischen Formen von Schwerhörigkeit nutzbar. Während
mit enormer Geschwindigkeit ständig neues Wissen sowohl im diagnostischen als auch
im wissenschaftlichen Kontext entsteht, stellt diese überwältigende Menge an Informationen
eine zunehmende Herausforderung für Fachärzte dar. Die fachärztliche Versorgung übernimmt
hier neue Aufgaben und fungiert als Schnittstelle zwischen dem humangenetisch-diagnostischen
Labor und dem Patienten. Zu diesen Aufgaben gehört die fachbezogene genetische Beratung
und die klinische Einordnung von genetischen Befunden.
Diese Übersicht soll als Referenz für HNO-Ärzte dienen, die einen Einstieg in die
Molekulargenetik der Schwerhörigkeit erhalten möchten. Es erfolgt die Darstellung
von Schlüsselkonzepten der molekulargenetischen Diagnostik. Gerade die komplexen Prozesse,
die der Identifizierung und Interpretation von genetischen Varianten zugrunde liegen,
wären ohne die die enormen zur Verfügung stehenden Datenmengen nicht denkbar. Insofern
sind „big data“ unabdingbare Voraussetzung, um genetische Daten im konkreten Einzelfall
zu filtern und gerade für den klinisch tätigen Arzt im Kontakt mit dem Patienten überschaubar
und nutzbar zu machen.
Schlüsselwörter
Big data - Genetik, Genomik -
GJB2
- Hochdurchsatz-Sequenzierung - Genetik - Schwerhörigkeitsdiagnostik - Varianteninterpretation