Der Klinikarzt 2019; 48(08/09): 317-318
DOI: 10.1055/a-1000-5389
Diskurs
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Erwiderung

Homöopathie als sinnvolle Ergänzung der konventionellen Medizin
Bernhard Zauner
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Publication Date:
19 September 2019 (online)

Homöopathie ist weltweit die am zweithäufigsten angewandte Therapiemethode. Zirka 500 000 Ärzte weltweit und ca. 45 000 Ärzte in Europa haben eine Zusatzausbildung in Homöopathie und wenden diese an ihren Patienten erfolgreich an. Die älteste durchgehend publizierte medizinische Fachzeitschrift weltweit ist die Allgemeine Homöopathische Zeitung, gegründet im Jahr 1832, welche von der Thieme Gruppe vertrieben wird. Laut einer aktuellen Umfrage aus Österreich – ähnliche Zahlen gibt es aus Deutschland – ist die Homöopathie bei der Bevölkerung so beliebt wie nie zuvor: Über 70 % der Österreicher/Innen haben im Jahr 2019 ein homöopathisches Arzneimittel verwendet und sind der Homöopathie gegenüber positiv eingestellt [1]. Somit ist die Homöopathie die beliebteste komplementärmedizinische Behandlungsmethode.

Die moderne Evidenzbasierte Medizin (EbM) stützt sich per Definition auf 3 Säulen: auf die klinische Forschung (Erfahrung der Ärzte/Tierärzte), die Werte und Wünsche des Patienten und den aktuellen Stand der Forschung (Sackett). Betrachtet man diese 3 Punkte im Detail, so kann festgestellt werden, dass weltweit täglich in den Praxen positive, klinische Erfahrung mit Homöopathie gesammelt wird, wie oben angeführt die Methode in der Bevölkerung äußerst beliebt ist und zur Homöopathie ungefähr 4000 Studien vorliegen. Medizin ist laut WHO-Definition eine praxisorientierte Erfahrungswissenschaft, die sich u. a. verschiedener naturwissenschaftlicher Disziplinen bedient. Sie muss im Sinne der EbM offenbleiben und darf nicht zu einer reinen Naturwissenschaft reduziert werden. Somit ist die Homöopathie heute Teil der evidenzbasierten Medizin.

Die Diskussion um die Homöopathie ist genau so alt wie die Homöopathie selbst. Seit Samuel Hahnemann im Jahre 1796 das Prinzip der Homöopathie veröffentlichte, schwelt dieser Konflikt mit mehr oder weniger Intensität. Eine Zunahme dieser pauschalen Angriffe gegen die Komplementärmedizin und im Besonderen gegen die Homöopathie ist in letzter Zeit häufiger zu beobachten.

Prof. Robert Hahn [2], ein weltweit angesehener schwedischer Anästhesist und Wissenschaftler, der keinerlei Bezug zur Homöopathie hat und deshalb als objektiv einzuschätzen ist, hat die Studienlage in der Homöopathie untersucht und kommt zu folgender Schlussfolgerung: „Um den Schluss ziehen zu können, dass Homöopathie einer klinischen Wirkung entbehrt, müssten 90 % der klinischen Studien außer Acht gelassen werden. Alternativ müssten fehlerhafte statistische Methoden angewandt werden.“

Die Studienlage zur Homöopathie entspricht den Ergebnissen der medizinischen Studienlandschaft und kann daher vielseitig diskutiert werden. Zur Homöopathie gibt es wie erwähnt rund 4000 Studien, die größtenteils einen Nachweis für die Wirksamkeit der Homöopathie erbringen. Eine erst kürzlich publizierte, sehr kritische Übersichtsarbeit zur individualisierten Homöopathie hat Robert Mathie mit seinen Kollegen erstellt, in der ein kleiner, aber spezifischer Therapieeffekt deutlich wurde. Diese aktuelle Metaanalyse von Mathie et al. (2014) [3] ergab, dass die Wahrscheinlichkeit einer positiven Wirkung von homöopathischen Arzneimitteln, die bei einer individualisierten Behandlung verschrieben werden, im Vergleich zu Placebo 1,5- bis 2-mal höher ist. Zwar wird nach wie vor häufig auf die frühere Metaanalyse von Shang et al. (2005) [4] Bezug genommen, aber die Studie von Mathie et al. aus dem Jahr 2014 umfasst 151 placebokontrollierte randomisierte Studien – 41 mehr als 2005 von Shangs Team identifiziert wurden, die dessen Einschlusskriterien erfüllt hätten, wenn sie damals verfügbar gewesen wären. Dies unterstreicht, wie überholt die 14 Jahre alte und kontroversiell diskutierte Arbeit von Shang et al., die nur 73 % der aktuell verfügbaren geeigneten Studien abdeckt, durch die Arbeit von Mathie et al. aus dem Jahr 2014 ist.

Der Mitautor des Artikels „Homöopathie und evidenzbasierte Medizin“, Dr. Ing. Aust, erschienen im klinkarzt 2019 [5], kritisierte bei einer gemeinsamen Veranstaltung [6] mit Prof. Dr. Michael Frass dessen “Sepsis- Studie“ [7]. Die Wirksamkeit homöopathischer Arzneien bei Menschen mit schwerer fieberhafter Erkrankung (Sepsis) wurde von Frass et al. (2005) im Rahmen einer prospektiven, randomisierten, doppelblinden, Placebo-kontrollierten Studie auf einer internistischen Intensivstation untersucht. 70 Patienten mit schwerer Sepsis erhielten zusätzlich zur Standardtherapie eine homöopathische Arznei oder Placebo. Am Tag 180 war die Überlebensrate in der homöopathisch behandelten Gruppe statistisch signifikant höher als in der Placebogruppe (p = 0,043). Aust kritisierte Frass, dieser ging auf die Kritikpunkte von Aust ein; interessanterweise war das Ergebnis das gleiche: Die Ergebnisse konnten auch nach Intention-to-treat-Auswertung bestätigt werden (Chi-Quadrat-Test: p = 0,0248).

Regina P. el Dib hat in einer Analyse von 1016 systematischen Übersichtsarbeiten von RCTs (randomized controlled trials) zu schulmedizinischen Behandlungen durchgeführt, die zu folgendem Ergebnis kam [8]: 44 % der untersuchten Arbeiten fielen positiv aus, 7 % kamen zum Ergebnis, dass die Anwendung wahrscheinlich schädlich ist und bei 49 % der Studien war das Ergebnis nicht eindeutig.

Bis Ende 2014 wurden 189 randomisierte kontrollierte Studien zur Homöopathie bei 100 verschiedenen Erkrankungen in peer-reviewed Zeitschriften [9] veröffentlicht. Darunter fallen 104 Studien, die Placebo-kontrolliert und für eine weitere detaillierte Bewertung in Frage kommen. Auch hier die Ergebnisse: 41 % der untersuchten Arbeiten vielen positiv auf, 5 % waren klar negativ und zeigten keine Wirkung der Homöopathie und bei 54 % war das Ergebnis unklar.

Prof. Dr. Christian H. Splieth [10] von der Universität Greifswald schätzte 2016 anlässlich einer Anhörung des G-BA zur Neufassung der Kinderrichtlinie: „Wenn wir das wirklich für die medizinischen Leistungen in der Kassenmedizin machen, dann würden wir wahrscheinlich 70 % der Leistungen nicht erbringen dürfen.“ Und Splieth betonte: „Ich bin Wissenschaftler.“ – Fraglich ist, warum der Vorwurf einer mangelhaften Evidenz stereotyp in einer oft extrem intensiven und aggressiven Weise nur gegen die Homöopathie vorgebracht wird, obwohl dieses Problem die gesamte Medizin betrifft.

Betrachtet man nun die Zahlen, so ergeben sich für beide Methoden sehr ähnliche Ergebnisse. Auffallend ist nur der große Unterschied bei der Zahl der angeführten Studien.

Vor allem in Europa gibt es keine finanzielle Unterstützung für eine intensive Forschung im Bereich der Homöopathie, die natürlich notwendig ist und der sich die mit Homöopathie arbeitende Kollegenschaft auch stellt. Die fehlende finanzielle Unterstützung beruht wahrscheinlich auch darauf, dass es kaum Drittmittel von der pharmazeutischen Industrie gibt. Im bereits zitierten Artikel wird von einem Jahresumsatz von 629 Millionen [5] Euro mit homöopathischen Arzneimitteln berichtet. Betrachtet man den Gesamtumsatz in deutschen Apotheken im Jahr 2018, ergibt sich eine Summe von 50,8 [11] Milliarden Euro. Das bedeutet, dass mit Homöopathika ein Umsatz von ca. 1,25 % vom gesamten pharmazeutischen Umsatz erzielt wurde.

Ärztinnen und Ärzte, welche ihre Patienten homöopathisch behandeln, wird in dem Artikel der Vorwurf gemacht, dass sie diesen lebensnotwendige Behandlungen vorenthalten. Die Homöopathieausbildung ist eine postpromotionelle Ausbildung, d. h., alle ausgebildeten Kolleginnen und Kollegen haben eine vollständige akademische Ausbildung. In der ausführlichen Anamnese wird detailliert auf die Beschwerden unserer Patienten eingegangen. Eine „schulmedizinische“ Abklärung zur Einschätzung der Situation und der Aufklärung ist für homöopathisch arbeitende Ärzte unabdingbar. In vielen Fällen wünschen die Patienten eine ergänzende Behandlung zur laufenden konventionellen Therapie, welche nicht in Frage gestellt wird.

Im Sinne der Patienten sollte ein Blick über den Atlantik gewagt werden, wie renommierte amerikanische Universitäten mit dem Phänomen „Komplementärmedizin“ in den letzten 25 Jahren umgegangen sind. Nach dem aufsehenerregenden Artikel von Eisenberg „Unconventional medicine in the United States – prevalence, costs, and patterns of use“, veröffentlicht 1993 im New England Journal of Medicine [12], kam es zur Schaffung eines Office for Alternative Medicine im Rahmen des National Institutes of Health. Dieses Office wurde 1998 zu einem eigenständigen National Center for Complementary and Alternative Medicine und seit 2012 zum Academic Consortium for Integrative Medicine and Health. Erst kürzlich wurde eine Leitlinie zur Integrativen Onkologie bei Brustkrebs von Greenlee H et al. [13] publiziert und auch von der Amerikanischen Krebsgesellschaft (ASCO) übernommen.

Angesichts der globalen Bedrohung durch die Antibiotikaresistenzproblematik, der Forderung der EU-Kommission im aktuellen One Health Action Plan nach Forschung im Bereich der Komplementärmedizin, einschließlich Homöopathie und der nachgewiesenen Evidenz für die Wirksamkeit der Veterinär-/Homöopathie braucht es im Sinne der Patienten:

  1. Die Verankerung des Fachgebietes „Homöopathie“ als Integrative Medizin bzw. Komplementärmedizin in der akademischen Ausbildung an den medizinischen & veterinärmedizinischen Universitäten.

  2. Eine postgraduale Fort- und Weiterbildungsoffensive, getragen durch etablierte Vereine und Organisationen und die Universität.

  3. Förderung der aktiven Wissensvermittlung über die Homöopathie als Integrativmedizin sowie eine Aufklärungsinitiative innerhalb der Ärzte-/Tierärzteschaft sowie eine unvoreingenommene interdisziplinäre Zusammenarbeit innerhalb der Ärzte-/Tierärzteschaft.

Ein Verbot des Verkaufs homöopathischer Arzneimittel und die Abschaffung der Zusatzbezeichnung Homöopathie/ÖAK-Diplom Komplementärmedizin Homöopathie, wie er u. a. von Autoren des Artikels „Homöopathie und evidenzbasierte Medizin“ gefordert wird, stehen im Widerspruch mit dem Wunsch der Patienten im Sinne einer integrativen Medizin und den Forderungen der EU.