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DOI: 10.1055/a-1083-0402
2. Sitzung des Begleitgremiums zur Nationalen Reduktions- und Innovationsstrategie; Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, 20.11.2019
Stellungnahme der DAG zu TOP 5: Ernährungskompetenz und Ernährungsaufklärung
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Ernährungskompetenz und Ernährungsaufklärung an der Schule sind evidenzbasiert nicht erfolgversprechend in der Primärprävention der Adipositas (Müller et al., KOPS-Studien). Die OECD rangiert schulbasierte Programme bei ROI-Bewertungen unter 1; das bedeutet, dass sich die Aufwendungen nicht rentieren und die Kosten höher sind als der Nutzen [Abb. 1].
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Bei der Reduktions- und Innovationsstrategie geht es um gesundheitsförderliche Rezepturverbesserungen von Produkten. Wir sehen hier die Forderung nach Ernährungsaufklärung und Ernährungskompetenz unter dem Dach dieser Strategie im Wesentlichen als Ablenkungsmanöver der Industrie, das mehr Aktionismus als wirksame Effekte zur Folge haben wird.
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Erste Priorität für Kinder und Jugendliche im Setting Kita und Schule hat die Umsetzung einer qualitätsgesicherten Kita- und Schulernährung (DANK-Forderung).
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Ausnahme: Zur Einführung des NutriScore in Deutschland sehen wir Bedarf für eine nationale Kampagne, die das intuitive Verständnis des Labelling in der Bevölkerung unterstützen kann. Massenmedienkampagnen haben nach OECD einen return on invest (ROI) von 4. Zu diesem Zweck könnte der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) oder das Bundeszentrum für Ernährung (BZfE) beauftragt werden. Wir würden außerdem eine Massenmedienkampagne zum Thema „Trink Dich nicht dick!“ befürworten.
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Wir sprechen uns gegen die Durchführung von privatwirtschaftlichen Ernährungs-Kampagnen an Kitas und Schulen aus. Wir befürchten, dass hier Werbung im Namen von „Aufklärung“ betrieben werden soll oder tendenziöse Botschaften transportiert werden. Kitas und Schulen müssen werbefreie Räume bleiben, Lehrinhalte sollten nicht von der Industrie bestimmt werden.
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Bevor Ernährungs- und Aufklärungsmaßnahmen erwogen werden, sollte eine internationale Literatursuche gestartet werden, die klar überprüfbar die Evidenz und zu erwartende Wirksamkeit solcher Maßnahmen feststellt. Die DAG kann hier unterstützen.
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Grundsätzlich wird ein umfassendes Bündel politischer Maßnahmen notwendig sein, um die Adipositas zurückzudämmen (s. [Tab. 1]). Hier sollten Maßnahmen mit den höchsten ROI priorisiert werden. Wir sehen folgende drei Maßnahmen gemäß OECD als besonders erfolgversprechend an, die im Rahmen einer Reduktionsstrategie erwogen werden sollten:
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Werbeverbot für Produkte mit Kinderoptik, die nicht dem Nährwertprofil der WHO-Europe (2015) entsprechen. ROI für die Regulation von Werbung nach OECD: 5,6 (höchste Bewertung von neun Maßnahmen!)
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Einbezug weiterer Produktgruppen, wie Süßwaren und Außer-Haus-Verpflegung (Gemeinschaftsverpflegung, Snacking, Food to go, Bestell-Essen usw.)
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Abgaben/Incentives für Händler und Discounter, um den Preiskampf bei Angeboten für qualitativ ungünstige Lebensmittel zu unterbinden (derzeit gibt es extrem hohe Preisnachlässe besonders für hochverarbeitete Lebensmittel um 20–50 %, z. B. bei Kaufland, Lidl und Aldi).
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Gesehen in der „Berliner Zeitung“ von September bis November 2019: Werbung für hochverarbeitete Lebensmittel (zucker-u/o, fett-u/o, salzreich) mit Preisnachlässen von 28 % bis zu 55 % (Beispiel Softdrinks), 37 % bei Süßigkeiten, 41 % für Tiefkühlpizza. Besonders hohe Preisnachlässe gewährt seit Monaten Kaufland.


Dr. Stefanie Gerlach für die DAG
Publication History
Article published online:
26 February 2020
© Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York