Nervenheilkunde 2020; 39(05): 340-343
DOI: 10.1055/a-1094-9565
Gesellschaftsnachrichten
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Kopfschmerz News der DMKG

Gudrun Goßrau
,
Torsten Kraya
,
Heike Israel-Willner
,
Franz Riederer
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Publication History

Publication Date:
05 May 2020 (online)

Aktualisierte Praxisleitlinie: Pharmakologische Behandlung zur Prävention pädiatrischer Migräne

**** Oskoui M, Pringsheim T, Billinghurst L, et al. Practice guideline update summary: Pharmacologic treatment for pediatric migraine prevention. Neurology 2019; 93: 500–509

Zusammenfassung

In diesem Bericht des Unterkomitees der American Academy of Neurology und der American Headache Society werden aktualisierte evidenzbasierte Empfehlungen zur Prävention der Migräne im Kindes- und Jugendalter bereitgestellt. Insbesondere wird auf die pharmakologische Migräneprophylaxe mit oder ohne kognitive Verhaltenstherapie (KVT) eingegangen. Die Autoren überprüften und klassifizierten systematisch die Literatur von Januar 2003 bis August 2017. Placebokontrollierte Studien zu pharmakologischen Interventionen, auch unter zusätzlicher Anwendung von KVT als präventive Migränetherapien für Kinder und Jugendliche im Alter von 3 bis 18 Jahren wurden in diese systematische Übersicht aufgenommen. 15 Studien der Klassen I bis III zur Migräneprävention bei Kindern und Jugendlichen erfüllten die Einschlusskriterien.

Es gibt keine ausreichende Evidenz dafür, dass Valproinsäure, Onabotulinumtoxin A, Amitriptylin, Nimodipin oder Flunarizin für Kinder und Jugendliche mit Migräne eine Reduktion der Kopfschmerzhäufigkeit wahrscheinlicher als Placebo bewirken. Bei Kindern mit Migräne, die Propranolol erhalten, ist die Wahrscheinlichkeit einer mindestens 50 %igen Reduktion der Kopfschmerzhäufigkeit möglicherweise höher als bei Kindern, die ein Placebo erhalten. Kinder und Jugendliche, die Topiramat oder Cinnarizin erhalten, haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass die Kopfschmerzhäufigkeit abnimmt als diejenigen, die ein Placebo erhalten.

Bei Kindern mit Migräne, die Amitriptylin plus KVT erhalten, ist die Wahrscheinlichkeit einer Kopfschmerzreduktion höher als bei Kindern, die Amitriptylin plus Kopfschmerzedukation erhalten. Nach diesen Daten ist es möglich, dass die KVT allein effektiv in der Migräneprävention wirkt. Die Datenlage reicht zur Beurteilung eines unabhängigen migräneprophylaktischen Effektes von Amitriptylin bei Kindern und Jugendlichen nicht aus. Darüber hinaus existiert eine Warnung der FDA bezüglich des erhöhten Suizidrisikos nach Einsatz von Amitriptylin bei Kindern, Jugendlichen und junge Erwachsenen (www.fda.gov/drugs/postmarket-drug-safety-information-patients-and-providers/suicidality-children-and-adolescents-being-treated-antidepressant-medications). Die meisten Studien, die die Wirksamkeit von präventiven Medikamenten für pädiatrische Migräne untersuchen, können keine Überlegenheit gegenüber Placebo zeigen.

Zu den Praxisempfehlungen für die Prävention von Migräne bei Kindern und Jugendlichen gehören die Beratung zu Lebensstil- und Verhaltensfaktoren sowie die Beurteilung und Behandlung von komorbiden psychischen Erkrankungen, die einen Einfluss auf die Kopfschmerzhäufigkeit haben können. Kliniker sollten gemeinsam mit Patienten und Erziehungsberechtigten Entscheidungen über die Anwendung präventiver Migränebehandlungen treffen und dabei auch die Grenzen der Evidenz pharmakologischer Therapien berücksichtigen.


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Kommentar

Diese Arbeit fasst die begrenzte Datenlage zur medikamentösen Migräneprophylaxe bei Kindern und Jugendlichen zusammen. Die wenigen, qualitativ wertigen placebokontrollierten Studien zur medikamentösen Migräneprophylaxe bei Kindern und Jugendlichen fallen mehrheitlich negativ aus. Hauptgrund dafür ist die hohe Placeborate von 30–60 % bei Kindern und Jugendlichen, weshalb Effekte der Verumpräparate sich nicht mehr abheben. Die explizite Empfehlung zur Einschätzung komorbider psychischer Erkrankungen als Risikofaktor einer Kopfschmerzchronifizierung im Kindes- und Jugendalter ist sehr wichtig. In diesem Kontext wird der Stellenwert von verhaltenstherapeutischen Interventionen zur Migräneprophylaxe herausgearbeitet. Es bleibt die Notwendigkeit, die Wirksamkeit von KVT als Migräneprophylaxe zukünftig durch gut konzipierte Studien weiter zu unterlegen. Insgesamt unterstreicht diese Übersicht erneut die Notwendigkeit einer komplexen interdisziplinären Behandlung junger Migränepatienten, wo neben Edukation zu Erkrankung und Lebensstil auch die Einschätzung psychischer Komorbiditäten und deren Therapie erfolgen muss. Die vorhandene Evidenz für Topiramat, Cinnarizin und Propranolol zur Prophylaxe der Migräne bei Kindern und Jugendlichen bildet die Rationale für Therapieversuche bei jenen Patienten, die trotz nicht medikamentöser Migräneprophylaxen weiterhin unter häufigen Migräneattacken leiden und massive Alltagseinschränkungen zeigen.

Für diese Patienten können medikamentöse Migräneprophylaxen wie Topiramat und Amitriptylin bei differenziertem Einsatz eine deutliche Verbesserung der Alltagsfunktion bewirken. Wichtig ist, die medikamentöse Behandlung in ein interdisziplinäres Therapiekonzept zu integrieren und Therapiesicherheit sowie Therapieeffekte regelmäßig zu prüfen, z. B. Kopfschmerztagebuch.

Gudrun Goßrau, Dresden


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  • Literatur

  • 1 Moore E, Fraley ME, Bell IM. et al The Journal of pharmacology and experimental therapeutics. 2020 doi 10.1124/jpet.119.261065
  • 2 Goadsby PJ, Wietecha LA, Dennehy EB. et al Brain. 2019; 142: 1894-1904
  • 3 Kuca B, Silberstein SD, Wietecha L. et al Neurology. 2018; 91: e2222-e2232
  • 4 Cameron C, Kelly S, Hsieh SC. et al Headache. 2015; 55 (Suppl. 04) 221-235
  • 5 Mullin K, Croop R. et al International Headache Conference. 2019 IHC-PO-132