Klin Monbl Augenheilkd 2020; 237(08): 980-984
DOI: 10.1055/a-1141-3911
Klinische Studie

Augenärztliches Screening für Menschen mit geistiger und Mehrfachbehinderung

Ophthalmological Screening in Children and Adults with Intellectual Disability
Bastian Grundel
1   Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde, Universitätsmedizin Greifswald
,
Milena Stech
1   Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde, Universitätsmedizin Greifswald
,
Marie-Christine Bründer
1   Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde, Universitätsmedizin Greifswald
,
Daniel Böhringer
2   Klinik für Augenheilkunde, Universitätsklinikum Freiburg
,
Thomas Haug
3   Augenoptik Haug, Bad Wimpfen
,
Thomas Ness
2   Klinik für Augenheilkunde, Universitätsklinikum Freiburg
,
Thomas Reinhard
2   Klinik für Augenheilkunde, Universitätsklinikum Freiburg
› Institutsangaben

Zusammenfassung

Einführung Special Olympics Deutschland (SOD) ist die deutsche Organisation der weltweit größten Sportbewegung für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung: Viele Landesverbände von SOD bieten mittlerweile alle 4 Jahre Sommerspiele für diese Klientel an, an denen Kinder und Erwachsene aus dem jeweiligen Bundesland teilnehmen. Während der Landessommerspiele von SO Baden-Württemberg in Offenburg im Jahr 2017 konnten die Athletinnen und Athleten im Rahmen des Gesundheitsprogramms „Opening Eyes – Besser Sehen“ an einem augenärztlichen Screening teilnehmen.

Methoden Optiker und Optometristen erhoben die Anamnese und Refraktion, prüften auf Farbfehlsichtigkeiten, Sehschärfe (Ferne und Nähe) sowie den orthoptischen Status. Insgesamt 4 erfahrene Ärzte in Weiterbildung und Fachärzte der Klinik für Augenheilkunde des Universitätsklinikums Freiburg führten Spaltlampenuntersuchungen, Funduskopie und Augendruckmessungen durch. Bei Bedarf wurde eine Funduskopie in Mydriase bzw. eine OCT-Untersuchung angeschlossen.

Ergebnisse Insgesamt wurden 166 Personen untersucht (48% weiblich = 80; 52% männlich = 86). Der Abdecktest war in etwa 45% der Fälle in der Ferne und in 47% der Fälle in der Nähe auffällig. Sechs bzw. 11% der Patienten gaben Doppelbilder an (9/156; 17/156; jeweils Ferne und Nähe). Eine auffällige Farbsehprüfung mit weniger als 9 von 9 erkannten CVTM-Testtafeln (Color Vision Testing Made Easy nach Waggoner) wurde bei 8% (11/143) dokumentiert. Fundusauffälligkeiten sahen wir in 13% der Fälle (16/125). 41% (48/118) benötigten eine neue Brillenverschreibung. 29% (45/157) gaben eine Überempfindlichkeit gegenüber Licht an. Jeder 2. Teilnehmer hatte in den letzten 3 Jahren einen Augenarzttermin wahrgenommen; dennoch ergab die Erhebung in 10% (16/160), dass noch kein Augenarztbesuch stattgefunden hatte. In 4% der Fälle wurde eine notfallmäßige Vorstellung beim niedergelassenen Augenarzt empfohlen (z. B. im Falle eines akuten Keratokonus oder aufgrund eines erhöhten Augeninnendrucks). Eine optionale Behandlung (z. B. wegen eines Trockenen Auges) wurde in 40% der Fälle (66/166) empfohlen.

Diskussion Menschen mit geistiger Behinderung beklagen allgemeine Probleme mit den Augen oder neu aufgetretene Sehprobleme nicht zwangsläufig und unmittelbar. Zusätzlich besteht möglicherweise ein eingeschränkter Zugang zur augenärztlichen Versorgung im Vergleich zu Menschen ohne geistige Behinderung. Aufgrund der 4% behandlungsbedürftiger Diagnosen sowie der 53% der Teilnehmer mit nicht optimalem Refraktionsausgleich erscheint eine augenärztliche Begleitung von Special Olympics sinnvoll, sollte verstetigt und mit öffentlichen Mitteln unterstützt werden.

Abstract

Introduction Special Olympics Germany is the German association of the largest global movement to provide year-round sports training and athletic competition in a variety of Olympic-type sports for children and adults with intellectual and multiple disabilities. We offered all participants ophthalmological screening during the event in Offenburg, Baden-Württemberg, in 2017 as part of the health programme “Open Eyes – Better Vision”.

Methods A team of optometrists took medical histories, examined refraction status, visual acuity, colour vision and orthoptic status. Four experienced physicians in training and specialists from the Eye Centre, University of Freiburg, performed slit-lamp examinations, funduscopy and eye pressure measurements. Dilated funduscopy and OCT were also performed, as necessary.

Results In total, we screened 166 persons (48% female = 80; 52% male = 86). The cover test was abnormal in about 45% (distant) and 47% (near) of patients, respectively. Six and 11% of patients, respectively, complained of double vision (9/156; 17/156; distant and near). Reduced colour vision with nine of nine tables (Colour Vision Testing Made Easy by Waggoner) was recorded in 8% of patients (11/143). We saw fundus abnormalities in 13% of patients (16/125). 41% of patients (48/118) needed a prescription of new glasses. 29% of patients (45/157) were hypersensitive to light. 10% of patients (16/160) had never been examined by an ophthalmologist. In 4% of patients (7/166) we recommended urgent consultation of an ophthalmologist (e.g. in case of corneal hydrops or elevated intraocular pressure). We discussed possible treatment (mainly dry eye) in 40% (66/166).

Discussion People with intellectual disabilities do not necessarily and directly complain about new vision problems or general problems with the eyes. In addition, there may be limited access to ophthalmological care compared to people without mental disabilities. Due to the four percent of diagnoses requiring treatment and 53% of participants who do not have current refraction compensation, ophthalmological monitoring of the Special Olympics eye program “Opening Eyes – Better Vision” seems to be an efficient mean for improving healthcare in this vulnerable group.



Publikationsverlauf

Eingereicht: 31. Januar 2020

Angenommen: 02. März 2020

Artikel online veröffentlicht:
26. Mai 2020

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