Erfahrungsheilkunde 2020; 69(03): 133
DOI: 10.1055/a-1150-5393
Editorial

Hilfe und Beistand am Ende des Lebens – Wenn Heilung nicht mehr möglich ist

Peter W. Gündling

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Leserinnen, liebe Leser,

Sterben und Tod, aber auch Hospiz und Palliativmedizin sind Begriffe, die in unserer Gesellschaft mit einer gewissen Scheu verwendet werden. Selbst wir Ärzte, die doch eigentlich mit dem gesamten Leben – von der Geburt bis zum Tod – vertraut sein sollten, tun uns oft schwer, mit unseren Patienten darüber zu reden.

Und möglicherweise ist es auch diese Scheu, die uns manchmal dazu verleitet, Menschen in ihrer letzten Lebensphase mit allen Mitteln am Leben erhalten zu wollen. Koste es, was es wolle. Oft auch auf Kosten der Lebensqualität und der Würde des Betroffenen. An dieser Stelle ist Palliativmedizin anstatt von Hochleistungsmedizin gefragt. Versorgung von lebenslimitierend erkrankten Patienten zur Verbesserung deren Lebensqualität.

Hier ist oftmals weniger mehr. Zurückhaltend, individuell, angepasst. Das gilt selbst für so gut gemeinte Maßnahmen wie eine parenterale Flüssigkeitsgabe an Patienten, die das Trinken verweigern. Denn auch dies erschwert und verlängert nur die Sterbephase.

Als ein naher Angehöriger von mir in den letzten Tagen seines Lebens zur Linderung seiner Schmerzen infolge eines fortgeschrittenen Magenkarzinoms ein Opiat bekam, verweigerte er dies nach einigen Tagen mit der Begründung: „Ich bin ja gar nicht mehr bei mir. Ich bekomme ja gar nichts mehr vom Leben mit.“ Gleichzeitig wollte er nichts über seine Prognose wissen. Sprach ich dieses Anliegen vorsichtig an, tat er so, als verstehe er nicht, worum es geht und wechselte das Thema.

Dabei ging es vielleicht um Verdrängung, vielleicht aber auch um eine Form von Hoffnung. Und die dürfen wir nie nehmen. Selbst wenn die Situation noch so ausweglos erscheint. Hoffnung gibt den Menschen Kraft. Und so lange wir leben, besteht Hoffnung. Einem Menschen seine Hoffnung zu nehmen, bedeutet, ihm Kraft zu nehmen. Kraft, die er gerade in der letzten Phase seines Lebens so dringend benötigt.

Immer wieder wundere ich mich, woher Kollegen und Kolleginnen so genau wissen, wie lange Patienten noch zu leben haben, wenn sie ihnen ihre verbleibende Lebenszeit prophezeien. Selbst wenn dies statistisch im Durchschnitt so sein mag, so kann es doch im Einzelfall ganz anders sein.

Ich glaube, wie gut auch immer unser Wissen zur Prognose eines bestimmten Krankheitsgeschehens sein mag, so kennen wir dennoch nie die individuellen Gegebenheiten und Ressourcen des betreffenden Patienten. Und bei aller Ehrlichkeit, die der Umgang mit einem Menschen in seiner letzten Lebensphase erfordern mag, sollte diese gut gemeinte Ehrlichkeit nie zu Lasten der Hoffnung und damit der Lebensqualität eines Patienten gehen. Schließlich bedeutet Ehrlichkeit auch, dass wir vieles nicht wissen und kennen. Insbesondere eben nicht die individuellen Ressourcen des Patienten.

Um die Breite der Möglichkeiten von Naturheilverfahren mit ihrem individuellen ganzheitlichen Ansatz aufzuzeigen, haben wir für die heutige Ausgabe bewusst nicht die Klassiker Ernährung, Bewegung, Hydro- und Phytotherapie in den Vordergrund gestellt, sondern kleinere Gebiete wie die Musiktherapie, die Aromatherapie und Spiritualität. Verfahren, die die Emotionen, die Seele und darüber auch den Geist und den Körper eines Menschen berühren und beeinflussen können.

Möge es Ihnen damit gelingen, diese letzte Lebensphase ihrer Patienten nicht nur lebenswerter, sondern möglicherweise sogar besonders wertvoll zu gestalten.

Herzlichst Ihr
Peter W. Gündling



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Article published online:
16 June 2020

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