Sportphysio 2020; 08(03): 158-159
DOI: 10.1055/a-1167-7528
Notes
Veranstaltungsbericht

Sportfisio-Symposium 2019 – Shoulder and Sports

Zum 17. Mal fand im November 2019 das Symposium von „Sportfisio“ statt – dem Schweizerischen Verband für Sportphysiotherapie (SVSP). Über 500 Teilnehmer pilgerten dazu am 27. November auf das Bernexpo-Gelände, angezogen von dem wie immer grandiosen Line-up an internationalen Referenten – unter anderem mit Jeremy Lewis, Ann Cools, Ian Horsley und Suzanne Gard ([ Abb. 1 ]).

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Abb. 1 Martin Asker, Martin Hägglund, Merete Möller, Russ Paine, Nim Perera, Ann Cools, Ian Horsley und Jeremy Lewis (von links nach rechts), Referenten des 17. Sportfisio-Symposiums 2019, versammelten sich mit Paul Blazey (Social Media Editor JOSPT) und Mario Bizzini (ganz rechts), Vizepräsident des Schweizerischen Verbandes für Sportphysiotherapie zum Gruppenbild. (Quelle: M. Bizzini)

Den Auftakt bildete das Referat von Merete Möller (Süddänische Universität), in dem es primär um die Frage ging, wie sich Schulterverletzungen im Sport vermeiden lassen. Sie eröffnete mit dem Hinweis, dass Erstverletzungen der Schulter schon recht früh auftreten: So zieht sich beispielsweise einer von 5 Jugendhandballern bereits im Alter zwischen 14 und 18 Jahren seine erste Schulterverletzung zu. Ein relevanter Faktor, der bisher etwas zwischen Parametern wie „reduzierte Kraft der Schulteraußenrotatoren“, „Skapuladyskinesie“ etc. unterging, ist die Steigerung der Trainingsintensität: Einiges deutet darauf hin, dass eine Steigerung um mehr als 60 % innerhalb einer Woche selbst bei denjenigen Sportlern das Verletzungsrisiko signifikant erhöht, die eine gute Schulterfunktion haben. Besteht eine Skapuladyskinesie oder ist die Kraft der Außenrotatoren vermindert, kann schon eine Belastungssteigerung zwischen 20 und 60 % nachteilige Effekte haben. Dieser Faktor könnte damit womöglich deutlich stärker ins Gewicht fallen als funktionelle Defizite der Athleten. Somit ist vor allem nach Verletzungspausen und Urlaub ein langsamer Wiedereinstieg ins Training ratsam.

Jeremy Lewis legte den Fokus seines Vortrags auf Eigenverantwortung und Selbstmanagement. Hierzu stellte er einige spannende Formulierungen und Vergleiche vor: Mit „I can‘t fix you!“ beispielsweise macht er seinen Patienten frühzeitig klar, dass sie selbst die Verantwortung für ihren Genesungsprozess tragen. Dies schließe aber nicht aus, Unterstützung, Anleitung und Erklärungen anzubieten. Heilungsprozesse verbildlicht er mit einer fallenden Kurve, wie man sie von Aktienkursen kennt: Die Beschwerden verringern sich zwar allmählich, allerdings nicht linear, sondern mit tagesabhängigen Höhen und Tiefen. Erwartungen an den Heilungsprozess vermittelt er realistisch: „Don’t lie to your patients!“ Auch wenn die Beschwerden nicht mehr vollständig zurückgehen, appelliert er an Patienten, gemeinsam mit dem Therapeuten das Beste herauszuholen. Patienten mit muskulotendinösen Beschwerden, die zu wenig Rücksicht auf ihre Problematik nehmen, ermahnt er: „Würdest du diese Dinge auch tun, wenn du an der Stelle einen Bruch hättest?“

In der Rehabilitation der Schulter ist Lewis‘ Credo, „Chaos“ – also unvorhersehbare, unberechenbare Störungen – in die Übungen und Bewegungsabfolgen einfließen zu lassen. So habe man eine Alternative zu linearen, vorhersehbaren und problemlos kontrollierbaren Belastungen. Denn diese bereiten laut Jeremy Lewis nur ungenügend auf die Belastungen im Sport vor.

Ann Cools (Universität Ghent, Belgien) befasste sich in ihrem Vortrag zum Thema Schulterinstabilität unter anderem mit der Frage, wie wichtig das glenohumerale Innenrotationsdefizit (GIRD) bei der erworbenen Schulterinstabilität ist. GIRD gilt derzeit als einer der Risikofaktoren für Schulterschmerzen. Schaut man allerdings die aktuelle Studienlage dazu an, sieht man, dass diesbezüglich kein Konsens besteht. Die Wissenschaftlerin stellte hier die Hypothese in den Raum, dass die Verkürzung der posterioren Schulterstrukturen (Kapsel und Rotatorenmanschette) womöglich gar kein pathologischer Zustand sei, der primär behandelt, also mobilisiert werden müsse, sondern eine Anpassung, um den Arm bei exzentrischen Abbremsbewegungen wie z. B. beim Werfen abzubremsen. Grund dafür ist ein exzentrisches Kraftdefizit der Außenrotatoren. Trotzdem hebt Cools hervor, dass das Dehnen der posterioren Strukturen bei symptomatischen Werfern nicht komplett außer Acht gelassen werden solle, da nach Studienlage in diesem Fall der Bewegungsumfang (ROM), der Schmerz und auch die akromiohumerale Distanz beeinflusst werden könnten.

Nachdem Kevin Wilk, wohl einer der bekanntesten Forscher im Bereich des Schultergelenks, leider kurzfristig verhindert war, hatte Russ Paine (Houston, Texas) dessen Vortragsslots übernommen. Paine, ein über 70 Jahre alter Physiotherapeut, betonte – ein wenig im Gegensatz zu seinen Vorrednern – die Wichtigkeit manueller Untersuchung und Therapie von Patienten mit Schulterschmerzen. Seiner Meinung nach nehme diese einen zentralen Platz im Management dieser Patienten ein. Mit einer Auswahl anspruchsvoller, nicht alltäglicher Übungen zur Verbesserung der Schulterstabilität rundete er seinen Vortrag ab.

Suzanne Gard (Genf, Schweiz) ging nach der Mittagspause der Frage nach, wie die Skapuladyskinesie aktuell einzuschätzen sei. Sie hob hervor, dass gerade in diesem Bereich in den letzten 10 Jahren viele neue Entwicklungen stattgefunden hätten. Nach dem „goldenen Zeitalter“ der „SICK Scapula“ (Achtung mit der Wortwahl) wissen wir heute, dass die Screenings auf eine Skapuladyskinesie unzuverlässig sind; außerdem kommen auch bei asymptomatischen Personen viele Normvarianten vor, sowohl bezüglich der Skapulaposition als auch hinsichtlich der Bewegungsabläufe. Laut Gard handelt es sich darüber hinaus bei einer Skapuladyskinesie nicht um einen bestätigten Risikofaktor für eine Schulterproblematik und sollte daher nicht isoliert betrachtet und behandelt werden. Aus der Praxis empfahl sie, einfache Screenings wie das Shoulder Symptom Modification Procedure nach Jeremy Lewis anzuwenden, da diese in kurzer Zeit und einfach durchzuführen seien. Durch die unmittelbar spürbaren Veränderungen verbesserten sie die Adhärenz der Patienten.

Martin Hägglund (Linköping, Schweden) präsentierte Zahlen und Fakten zu Schulterverletzungen im Elite-Fußball. Während Schulterverletzungen nicht in den Top Ten der Verletzungen von Feldspielern rangieren, sieht es bei Torhütern anders aus: Beim Goalie ist die Schulter in 9 %, beim Feldspieler in 1,5 % der Verletzungen vertreten. Torhüter haben ein 5–6-mal höheres Risiko im Verhältnis zu den Feldspielern, eine Verletzung der Schulter zu erleiden. Im Vergleich zu diesen ziehen sie sich eher Überlastungsverletzungen mit schleichendem Beginn zu, ohne Gegnerkontakt („non-contact“) und häufiger beim Training (66 %). Bei den Feldspielern sind Schulterverletzungen eher akute Spielverletzungen mit Gegnerkontakt (83 %).

Martin Asker (Stockholm, Schweden) erläuterte die letzten Phasen der Schulter-Reha im Handball vom eingeschränkten Feldtraining bis zum Return to Performance. Er wies darauf hin, dass die Schulter im Handball extremen Belastungen ausgesetzt ist, und meinte, dass wir es hier mit einer Kombination aus Baseball (Wurf) und Rugby (Kontaktsport) zu tun hätten. In der Reha müssten wir daher sowohl dem Werfen als auch dem Festhalten und Abwehren gerecht werden.

In seinem Vortrag zeigte er ein Beispiel eines Aufbaus bis zum Werfen im Wettkampf über 8 Wochen, wobei die Würfe sowohl über die Intensität (Geschwindigkeit oder Wurfweite) als auch über die Belastungsvariabeln (Repetitionen und Sets) gesteigert werden. Verlaufszeichen sind dabei der Schmerz (< 3/10) und Widerstandstests. In der letzten Phase soll bei optimalem Verlauf in der 8. Woche 3-mal ein Belastungstest durchgeführt werden. Es gibt bis jetzt keine wissenschaftlich erforschte Testbatterie für die Rückkehr zum Wettkampf (Return to Competition). Die von Asker vorgeschlagene Testbatterie umfasst 4 Blöcke mit zunehmender Beanspruchung bezüglich Wurfintensität, aber auch mit anderen Belastungen wie Abwehrposition und Burpees (Liegestützsprünge). Zwischen den Blöcken werden immer wieder Widerstandstests (Break-Tests für Außen- und Innenrotatoren und Abduktoren) mit dem Handdynamometer durchgeführt, außerdem wird die Anstrengung allgemein und bezüglich der Schulter erfasst. Kriterien für den Return to Competition sind kein/kaum Schmerz (< 3/10) bei den Widerstandstests, kein Schmerz beim Werfen, Kraft im dominanten zum nicht dominanten Arm 1,2:1, Außenrotationskraft zu Innenrotationskraft in 90° ABD > 0,8, schmerzfreier Bewegungsumfang, schmerzfreies Durchführen der Testbatterie 3-mal in einer Woche sowie gute aerobe Kapazität und volles Vertrauen in die Schulter.

Den Abschluss machte Ian Horsley (West Yorkshire, England) mit seinem Beitrag zum Thema Return to Play nach Schulterverletzungen im Rugby. Er hob hervor, dass der Joint Position Sense einerseits nach Schulterverletzung auch 6 Monate nach Ausheilung noch vermindert ist, andererseits mit wiederholten Tacklings (die in einem Spiel durchschnittlich 22-mal vorkommen) abnimmt und sich auch nach 15 Monaten noch nicht erholt hat. Dies vor allem in Schulterpositionen nahe des Bewegungsendes in Abduktion/Außenrotation, wo gerade die neuromuskuläre Kontrolle sehr wichtig ist.

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Abb. 2 Wer dieses Symposium verpasst hat, kann alle Beiträge unter dem Link https://bit.ly/SSPA_Symposium_2019 auch noch einmal auf YouTube anschauen oder den QR-Code scannen.

Horsley präsentierte interessante neuromuskuläre Stabilisationsübungen für das Schultergelenk für die letzte Reha-Phase und zeigte auch rugbyspezifische Übungen, welche die ganze kinetische Kette mit einbezogen, sowohl die offene als auch die geschlossene.

Das Symposium schlug einmal mehr einen spannenden, stimmigen Bogen von wissenschaftlicher Forschung hin zu konkreten Tipps für die Therapie. Wer sich englischsprachige Vorträge zutraut, dem sei unbedingt empfohlen, dieses Symposium in 2020 im Blick zu behalten (siehe Termine auf S. 160).

Martina Leusch, Joachim Schwarz



Publication History

Article published online:
03 July 2020

© Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York