Hands on - Manuelle und Physikalische Therapien in der Tiermedizin 2020; 2(04): 62
DOI: 10.1055/a-1240-0518
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As time goes by – eine Frage des Blickwinkels?

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Unsere Erfahrungen, unsere Erlebnisse und die Zahl der Eindrücke prägen unser Zeitempfinden. Sicher ist: Die Zeit, die wir mit einem Tier verbringen ist nie „verschwendet“. Quelle: © Eva/stock.adobe.com [rerif]

Jeder von uns hat bereits erlebt, dass einem die Zeit „durch die Finger rinnt“, sie „wie im Fluge vergeht“, „stehen geblieben“ ist, leider oft „verloren geht“ oder „gespart werden“ muss. Am Morgen noch hat man sich seinen Praxistag sorgfältig eingeteilt, „Zeitreserven“ eingeplant und macht sich – zunächst noch optimistisch – auf den Weg. Dann allerdings begegnet dieser Plan der Realität, und von den „Zeitreserven“ ist in Nullkommanichts kaum noch etwas übrig.

Ist man dagegen im Urlaub unterwegs, scheint ein Tag deutlich mehr Stunden zu haben, als dies im Alltag der Fall ist. Gegen Ende des Urlaubs, legt das Tempo des „Zeitvergehens“ dann aber wieder zu.

Was ist Zeit?

Aber was ist Zeit eigentlich, warum empfinden wir sie so unterschiedlich und wo genau befindet sie sich? „Zeit ist Leben und wohnt im Herzen“ postuliert Beppo Straßenkehrer in Michael Endes „Momo“. Aber was sagt die Wissenschaft dazu? Zeitwahrnehmung ist eine Konstruktion unseres Gehirns, vergleichbar mit dem Sehen – und ebenso einfach zu manipulieren.

In das Gehirn eingehende Informationen, wie visuelle und auditive Eindrücke, werden in unterschiedlichen Geschwindigkeiten verarbeitet. Es synchronisiert alle Informationen zu einem Gesamtbild und wartet dabei auf den langsamsten Teilnehmer. Wir alle leben also mit den Dingen, die wir sehen, ca. 1 / 10 Sekunde in der Vergangenheit. Das Gehirnberücksichtigt diese Verzögerung, damit es mit der Außenwelt interagieren kann. Es erstellt aufgrund seiner Erfahrung sozusagen eine Vorhersage dafür, wie etwas ablaufen wird, respektive, was abgelaufen ist. Meist klappt das ganz gut, außer, man versucht, einer Fliege den Garaus zu machen.

In kritischen Situationen schaltet sich der Mandelkern (Amygdala) des limbischen Systems ein und sorgt dafür, dass mehr Informationen abgespeichert werden. Dichte und Nachhaltigkeit der gespeicherten Eindrücke nehmen zu, damit sie in zukünftigen bedrohlichen Situationen wieder zur Verfügung stehen. Als Konsequenz der hohen Dichte an Informationen führt dieser Vorgang dazu, dass wir die Zeit als „stehen geblieben“ empfinden.

Werden also viele neue Eindrücke erlebt, so wie z. B. in der Kindheit oder (hoffentlich) im Urlaub, dann erleben wir die Zeit als „gedehnt“. Mit fortschreitendem Lebensalter wiederholen sich dann allerdings viele Abläufe, was zu einer gefühlten Kompression der Zeit führt. Zeitempfinden ist eng mit dem Gedächtnis verknüpft.

Nicht mehr Zeit, sondern mehr Leben.

Die Aussage, dass man dem Leben nicht mehr Tage, sondern den Tagen mehr Leben zufügen möge, ist demnach in doppelter Hinsicht weise, denn ein intensiv gelebter Tag, an dem man sich als Therapeut auf den Patienten und die Menschen einlässt, ist so nicht nur schöner, sondern fühlt sich auch länger an.

Vielleicht ist es eben doch so wie Michael Ende es gesagt hat: die Zeit wohnt in den Herzen, denn es ist die Qualität der Zeit und der Eindrücke, die dem Leben ihren Wert gibt.

Dr. Doris Börner



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Article published online:
16 December 2020

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