Rehabilitation (Stuttg) 2021; 60(04): 281-286
DOI: 10.1055/a-1282-8966
Methoden in der Rehabilitationsforschung

Das qualitative Interview und die notwendige Haltung der Offenheit

The Qualitative Interview and the Necessary Attitude of Openness
Margret Xyländer
1   Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Universität Bielefeld
2   Kultur-, Sozial- und Bildungswissenschaftliche Fakultät, Institut für Rehabilitationswissenschaften, Abteilung Rehabilitationssoziologie, Humboldt-Universität zu Berlin
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Zusammenfassung

Der Beitrag nimmt die in den Rehabilitationswissenschaften häufig verwendete Erhebungsform des qualitativen Interviews und seine praktische Durchführung in den Blick. Einen wesentlichen Aspekt der Interviewführung stellt – neben Merkmalen der Prozesshaftigkeit und Kommunikation – die Haltung der Offenheit dar. Diese umfasst im qualitativen Forschungsprozess mehrere Aspekte, die hier konkret benannt werden. Dies beginnt mit einer methodologischen Offenheit bei der Auswahl und Anwendung geeigneter Methoden für den zu untersuchenden Forschungsgegenstand. Die Haltung der Offenheit setzt sich im Forschungsprozess weiter fort, wenn eventuelle Anpassungen im Vorgehen notwendig werden, die dann auch Gegenstand methodischer Reflexion sein können und sollten. Offenheit bezieht sich damit auf den gesamten Forschungsprozess und seine unvorhergesehenen Ereignisse und Verläufe. Eine Haltung der Offenheit meint aber auch und insbesondere eine Aufgeschlossenheit gegenüber den Befragten wie auch gegenüber der Interviewsituation und ihren Rahmenbedingungen. Nicht zuletzt erfordert dies eine Offenheit gegenüber sich selbst im Sinne einer Reflexion der eigenen Selbstverständlichkeiten, um Interview(nach)fragen möglichst wenig vorzustrukturieren.

Abstract

The article takes a look at the qualitative interviews frequently used in the rehabilitation sciences and their practical implementation. An essential aspect of conducting an interview – in addition to characteristics of processuality and communication – is the attitude of openness. This comprises several aspects in the qualitative research process, which are specifically mentioned here. This begins with a methodological openness in the selection and application of suitable methods for the research object to be investigated. The attitude of openness continues in the research process when possible adjustments in the approach become necessary, which can and should then also be the subject of methodological reflection. Openness thus refers to the entire research process and its unforeseen events and progressions. However, an attitude of openness also and especially means an open-mindedness towards the interviewees as well as towards the interview situation and its framework conditions. Last but not least, this requires openness towards oneself in the sense of a reflection of one’s own self-evidence in order to (re-)structure interviews as little as possible.

5 Zu der Frage, wer als Expert/in gilt vgl. die eher weit gefasste Definition von Gläser&Laudel [24] als auch die Bestimmung über die Aspekte von Wissen, Macht und Zuschreibung bei Bogner, Littig & Menz [25].


7 Gemäß dem Fokus des vorliegenden Beitrags erfolgt hier eine Beschränkung auf Interviews als Erhebungsmethoden. Qualitative Verfahren bieten jedoch eine Vielzahl methodischer Zugänge für verschiedene Fragestellungen wie z. B. Fokusgruppen, Beobachtungen oder Dokumenten- und Aktenanalysen, um nur einige zu nennen.




Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
05. November 2020

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