Gesundheitswesen 2022; 84(02): 110-116
DOI: 10.1055/a-1312-6439
Originalarbeit

Nutzungsgrad und Nutzergruppen der Online-Videosprechstunde in der ambulanten ärztlichen Versorgung – Eine Routinedatenanalyse

Level of Use and User Groups of Online Video Consultations in Outpatient Medical Care: Analysis of Claims Data
1   Gesundheitsökonomie und Gesundheitsmanagement, Universität Bielefeld Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Bielefeld, Deutschland
,
1   Gesundheitsökonomie und Gesundheitsmanagement, Universität Bielefeld Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Bielefeld, Deutschland
,
Juliana Schmidt
1   Gesundheitsökonomie und Gesundheitsmanagement, Universität Bielefeld Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Bielefeld, Deutschland
,
Wolfgang Greiner
1   Gesundheitsökonomie und Gesundheitsmanagement, Universität Bielefeld Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Bielefeld, Deutschland
› Author Affiliations

Zusammenfassung

Ziel Trotz wahrgenommener Potenziale, einer Abrechenbarkeit als Regelleistung gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung und verschiedener Fördermaßnahmen hat sich die Online-Videosprechstunde noch nicht als fester Bestandteil des ambulanten Versorgungsalltags etabliert. An längerfristigen quantitativen Untersuchungen zum Nutzungsgrad mangelt es bislang. Diese sind jedoch essenziell für ein besseres Verständnis der Diffusionsprozesse sowie der Auswirkungen von Fördermaßnahmen. Die vorliegende Arbeit stellt einen ersten Schritt in Richtung einer fortlaufenden Begleitforschung dar.

Methodik Die Entwicklung des Nutzungsgrades der Videosprechstunde in der ambulant ärztlichen Versorgung wird auf Grundlage von Routineabrechnungsdaten einer großen gesetzlichen Krankenkasse von Beginn der Erstattungsfähigkeit im April 2017 bis Ende 2018 untersucht. Um einen Überblick über die Nutzergruppen zu erhalten, werden zudem relevante und in den Abrechnungsdaten abbildbare Arzt- und Patientencharakteristika (Facharztgruppe, Alter, Region) untersucht.

Ergebnisse In den 21 Monaten des Beobachtungszeitraumes wurden insgesamt 320 Videosprechstunden abgerechnet, wobei die Nutzungszahlen in 2018 monatlich bereits doppelt so hoch waren, wie in 2017. Insgesamt nahmen 105 verschiedene Versicherte eine Videosprechstunde in Anspruch. Diese hatten ein Durchschnittsalter von 74,6 Jahren und kamen mit 59,8% vorwiegend aus städtischen Regionen. Unter den insgesamt 30 Ärzten, die Videosprechstunden durchgeführt haben, stellten die Allgemeinmediziner mit 36,7% die größte Facharztgruppe.

Schlussfolgerung Die Untersuchung unterstreicht den geringen Stellenwert der Online-Videosprechstunde in der ambulanten ärztlichen Versorgung in den ersten 21 Monaten nach ihrer Einführung. Die Ergebnisse decken sich mit den bisherigen Erkenntnissen aus Kurzfristanalysen und demoskopischen Untersuchungen. Sie deuten darüber hinaus auf erste Nutzungstrends hin, die es im Rahmen einer kontinuierlichen Auseinandersetzung weiter zu untersuchen gilt. Eine entsprechende Begleitforschung sollte den Beobachtungszeitraum fortlaufend ausweiten und eine breitere, kassenübergreifende Datenbasis anstreben.

Abstract

Objective Despite perceived potentials, billability as a standard service to the statutory health insurance (SHI) and various promotional measures, online video consultation has not yet established itself as a fixed component of everyday outpatient care. Longer-term quantitative studies on the degree of utilisation have been lacking so far. However, these are essential for a better understanding of diffusion processes and the effects of promotional measures. The present study represents a first step towards a continuous examination.

Methods The utilisation of video consultations in outpatient care was examined from the beginning of their reimbursability in April 2017 until the end of 2018. In order to get an overview of the user groups, relevant physician and patient characteristics (specialist group, age, region) that can be depicted in the billing data were also investigated.

Results During the 21 months of the observation period, a total of 320 video consultations were conducted, with monthly usage figures in 2018 already twice as high as in 2017. Overall, 105 insurants used at least one video consultation (average age 74.6 years; 59.8 from urban regions). Among the 30 doctors who used video consultation, 36.7% were general practitioners, representing the largest group of physicians.

Conclusion The study underlines the low significance of online video consultations in outpatient care in the first 21 months after their introduction. The results are in line with previous findings from short-term analyses and demoscopic studies. They also point to initial usage trends that need to be further investigated with extended observation periods and broader data bases across several more statutory insurance companies.



Publication History

Article published online:
07 January 2021

© 2021. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

 
  • Literatur

  • 1 Martenstein I, Wienke A. Das neue E-Health-Gesetz : Was kommt auf Kliniken und niedergelassene Ärzte zu?. HNO 2016; 64: 515-516 DOI: 10.1007/s00106-015-0118-2
  • 2 Gesetz für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen sowie zur Änderung weiterer Gesetze vom 21. Dezember 2015
  • 3 Bundesministerium für Gesundheit (BMG). E-Health-Gesetz verabschiedet (04.12.2015). Im Internet: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/ministerium/meldungen/2015/e-health.html; Stand: 05.03.2020
  • 4 Beschluss des Bewertungsausschusses nach § 87 Abs. 1 Satz 1 SGB V in seiner 389. Sitzung am 21. Februar 2017 zur Änderung des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) mit Wirkung zum 1. April 2017
  • 5 Bundeärztekammer. 121. Deutscher Ärztetag: Beschlussprotokoll; 2018
  • 6 Krüger-Brand HE. Fernbehandlung: Noch viel Regelbedarf. Dtsch Artzebl 2019; 116: 926-928
  • 7 Gesetz zur Stärkung des Pflegepersonals (Pflegepersonal-Stärkungsgesetz–PpSG) vom 11. Dezember 2018
  • 8 Beschluss des Bewertungsausschusses nach § 87 Abs. 1 Satz 1 SGB V in seiner 435. Sitzung am 29. März 2019 zur Änderung des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) mit Wirkung zum 1. April 2019
  • 9 Beschluss des Bewertungsausschusses nach § 87 Abs. 1 Satz 1 SGB V in seiner 449. Sitzung (schriftliche Beschlussfassung), Teil A zur Änderung des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) mit Wirkung vom 1. Oktober 2019 bis zum 30. September 2021, Teil B zu Empfehlungen gemäß § 87a Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 SGB V bzw. § 87a Abs. 5 Satz 7 i. V. m. § 87a Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 SGB V im Zusammenhang mit der Aufnahme der Gebührenordnungsposition 01451 in den Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) mit Wirkung vom 1. Oktober 2019 bis zum 30. September 2021
  • 10 Beschluss des Bewertungsausschusses nach § 87 Abs. 1 Satz 1 SGB V in seiner 453. Sitzung (schriftliche Beschlussfassung), Teil A zur Änderung des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) mit Wirkung zum 1. Oktober 2019, Teil B zu Empfehlungen gemäß § 87a Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 SGB V bzw. § 87a Abs. 5 Satz 7 i. V. m. § 87a Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 SGB V im Zusammenhang mit der Aufnahme der Leistungen nach den Gebührenordnungspositionen 01442 (Videofallkonferenz) und 01444 (Authentifizierung) in den Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) mit Wirkung zum 1. Oktober 2019
  • 11 Kassenärztliche Bundesvereinigung. Videosprechstunden sind jetzt öfter möglich – Vergütung im EBM neu geregelt (10.10.2019). Im Internet: https://www.kbv.de/html/1150_42530.php; Stand: 20.11.2019
  • 12 Gesetz für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation (Digitale-Versorgung-Gesetz–DVG) vom 9. Dezember 2019
  • 13 Drucksache des Deutschen Bundestages 19/0620 vom 26.11.2018: Unterrichtung die die Bundesregierung - Bericht des Bewertungsausschusses zur Überprüfung des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes auf die Möglichkeit zur ambulanten telemedizinischen Leistungserbringung. Im Internet: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/060/1906020.pdf
  • 14 Deutsche Apotheker- und Ärztebank eG. Umfrage: Wieviel Digitalisierung wollen Patienten? (23.04.2018). Im Internet: https://newsroom.apobank.de/pressreleases/umfrage-wieviel-digitalisierung-wollen-patienten-2485501?link_category=apohealth-ius&link_action=textlink&link_label=marke-apo-pm-digimgesw
  • 15 DAK-Gesundheit. Digitalisierungsreport 2019: Wie Ärzte über die Digitalisierung des Gesundheitswesens denken; 2019
  • 16 jameda. Studie: Die Digitalisierung der Arztpraxis zwischen Wunsch und Wirklichkeit; 2019
  • 17 Kassenärztliche Bundesvereinigung. Versichertenbefragung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung 2019: Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage; 2019
  • 18 MLP Finanzberatung SE. MLP Gesundheitsreport 2019: Repräsentative Umfrage in Kooperation mit dem Institut für Demoskopie Allensbach; 2019
  • 19 Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV). Jeder vierte Arzt verweigert Anschluss an elektronisches Gesundheitsnetz (29.08.2018). Im Internet: https://www.gdv.de/de/themen/news/jeder-vierte-arzt-verweigert-anschluss-an-elektronisches-gesundheitsnetz-35114 Stand: 16.03.2020
  • 20 Dörries M, Gensorowsky D, Greiner W. Digitalisierung im Gesundheitswesen: Hochwertige und effizientere Versorgung. Wirtschaftsdienst 2017; 97: 692-696. DOI: 10.1007/s10273-017-2200-
  • 21 Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR Bonn). Indikatoren und Karten zur Raum- und Stadtentwicklung: Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung. Im Internet: http://www.bbsr.bund.de
  • 22 Kassenärztliche Bundesvereinigung. Videosprechstunde. Im Internet: https://www.kbv.de/html/videosprechstunde.php; Stand: 02.03.2020
  • 23 Rottmann O, Hilbig C Studie zur Förderung des Breitband-Ausbaus im ländlichen Raum: Ergebnisse und Empfehlungen. Im Internet: https://www.bdo.de/getattachment/Services/News/Newsroom/Aktuelle-Pressemitteilung/Breitbandstudie_A4_020519.pdf.aspx?lang=de-DE Stand: 10.01.2020
  • 24 Gerlof H. Videosprechstunde — Patienten wollen, Ärzte warten noch. Uro-News 2018; 22: 46 DOI: 10.1007/s00092-018-2094-9