Ernährung & Medizin 2021; 36(03): 97
DOI: 10.1055/a-1393-1699
Editorial

Liebe Leserinnen, liebe Leser, …

Bertil Kluthe

Ernährung und Psyche

Das vorliegende Heft beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit dem Thema Essstörungen. Gerade in der jetzt seit anderthalb Jahren andauernden Corona-Pandemie hat deren Prävalenz derart zugenommen, dass TherapeutInnen den vermehrten Behandlungsbedarf kaum bewältigen können. Äußere Zwänge und ständig wechselnde rigide Regeln werden von den Betroffenen internalisiert und dann auf das alltägliche Thema der Nahrungsaufnahme übertragen.

Verschärft wird diese Situation durch den Druck auf Heranwachsende und junge Erwachsene, bei ihrer Essensauswahl ökologische Aspekte (ihren „ökologischen Fußabdruck“) zu beachten. Dies führt zu einer Einengung der Nahrungsmittelauswahl, oft verbunden mit einem schlechten Gewissen (→Ängste) beim Verzehr der noch „erlaubten“ Lebensmittel.

Aus diesem Grund haben wir den Beitrag zum Thema „Orthorexia nervosa – Zeiterscheinung oder Krankheitsbild?“ als Einstieg in das vorliegende Heft gewählt. Die beiden Autorinnen fassen Geschichte, Begrifflichkeit und den aktuellen Kenntnisstand zur Orthorexia nervosa zusammen und zeigen mit anschaulichen Beispielen die aktuelle Bedeutung des Phänomens auf. Auch wenn die Orthorexie (noch) nicht den Status eines eigenständigen Krankheitsbildes besitzt, wird ein orthorektisches Essverhalten sehr wohl als Risikofaktor für die Entwicklung einer Anorexie angesehen.

Der nächste Artikel beschäftigt sich mit „Aktuelle Aspekte in der Diagnostik und Therapie der Anorexia nervosa (Magersucht)“. Die Anorexia nervosa als Krankheitsbild ist seit mehr als 100 Jahren bekannt. Die auslösenden Faktoren sind vielfältig, häufig finden wir bei den Betroffenen Zwanghaftigkeit, Perfektionismus, Affekteinengung, Anhedonie und Askese. Mit diesen Begriffen kann auch das Leben unter den Einschränkungen einer Pandemie charakterisiert werden, sodass die der Anorexie zugrunde liegenden Konflikte (z. B. Autonomie-Abhängigkeits-Konflikt) allein durch die Pandemie verstärkt werden können und sich die Erkrankung so eher manifestieren kann.

Mit einem bezüglich der BMI-Entwicklung eher in die andere Richtung weisenden Problem setzen sich die Autoren des dritten Beitrags „Binge Eating-Störung: Klinisches Bild, Diagnostik und Behandlungsstrategien“ aus der Arbeitsgruppe von Prof. Zipfel an der Universität Tübingen auseinander. Die BES ist eng mit der Zunahme der Adipositas in den letzten beiden Jahrzehnten verbunden und wird eher noch zu selten diagnostiziert, wobei die psychotherapeutische Behandlung sowohl bei der BES im engeren als auch bei der Adipositastherapie im weiteren Sinne fest etabliert ist.

Der letzte Beitrag in diesem Heft beschäftigt sich mit der Erfordernis, spezielle Techniken der Informationsvermittlung und Lernmotivation zu erwerben, um lebenslanges Lernen zu begleiten. Welche Besonderheiten beim Lernen im Erwachsenenalter zu berücksichtigen sind und welche Instrumente bei der Vermittlung von Ernährungswissen besonders wertvoll sind, beschreibt Frau Prof. Fell in ihrem Beitrag „Erfolgreiche Ernährungsberatung und PatientInnenweiterbildung“. Die Autorin konkludiert, dass für die effektive Wissensvermittlung im Ernährungsbereich eine Grundausbildung in Ernährungsandragogik geboten scheint.

Ich wünsche Ihnen viel Freude bei der Lektüre der oben kurz umrissenen Fachbeiträge und viele neue Anregungen für Ihre tägliche Arbeit.

Ihr
Dr. Bertil Kluthe



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Article published online:
22 September 2021

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