Suchttherapie 2022; 23(02): 77-86
DOI: 10.1055/a-1441-6790
Originalarbeit

Die ambulante Suchthilfe im Wandel der Zeit – Veränderungen von Klientel, Problembereichen und Betreuungsergebnis zwischen 2007 und 2016

Changes in Outpatient Addiction Care over Time – Clients, Main Diagnosis and Treatment Outcomes between 2007 and 2016
Hanna Dauber
1   IFT Institut für Therapieforschung, München, Deutschland
,
Barbara Braun-Michl
1   IFT Institut für Therapieforschung, München, Deutschland
,
Sara Specht
1   IFT Institut für Therapieforschung, München, Deutschland
,
Jutta Künzel
1   IFT Institut für Therapieforschung, München, Deutschland
,
Larissa Schwarzkopf
1   IFT Institut für Therapieforschung, München, Deutschland
› Institutsangaben

Zusammenfassung

Ziel Dieser Beitrag untersucht anhand der Daten der Deutschen Suchthilfestatistik (DSHS) welche Veränderungen sich in der ambulanten Suchthilfe hinsichtlich Klientel, Hauptdiagnosen und Betreuungsergebnis im Zeitraum von 2007 bis 2016 ergeben haben. Die beobachteten Trends werden vor dem Hintergrund sich wandelnder gesamtgesellschaftlicher und versorgungspolitischer Rahmenbedingungen reflektiert.

Material und Methoden Aggregierte Daten aller ambulanten Suchthilfeeinrichtungen, die sich im genannten Zehnjahreszeitraum an der DSHS beteiligt haben, wurden deskriptiv ausgewertet. Neben der Entwicklung des Betreuungsvolumens beschreiben die Analysen soziodemografische, störungs- und betreuungsrelevante Parameter im Zeitverlauf.

Ergebnisse Die Anzahl teilnehmender Einrichtungen (2007: n=720; 2016: n=863) ist im untersuchten Zeitraum gestiegen. Neben einigen soziodemografischen Merkmalen (zunehmendes Durchschnittsalter, steigender Frauenanteil, höheres Bildungsniveau) hat sich insbesondere die Zusammensetzung der Hauptdiagnosen verändert. Trotz stark rückläufigem Anteil (2007: 57,3%; 2016: 48,9%) repräsentieren alkoholbezogene Störungen nach wie vor den häufigsten Betreuungsanlass. Bei opioidbezogenen Störungen ist ebenfalls ein Rückgang zu verzeichnen (2007: 18,6%, 2016: 13,7%), während cannabis-bezogene Störungen deutlich zugenommen haben (2007: 12,1%, 2016: 17,8%). Der Anteil positiver Betreuungsergebnisse war konstant hoch (2007: 64,5%, 2016: 64,1%).

Diskussion Die konstant positiven Betreuungsergebnisse deuten darauf hin, dass auf veränderte Bedarfe der Suchthilfeklientel in richtigem Maße reagiert wurde. Perspektivisch ist von einem Bedeutungszuwachs der älteren Klientel sowie von Menschen mit Migrationshintergrund in der Suchthilfe auszugehen, was annahmegemäß weitere Anpassungen des Angebots nach sich ziehen dürfte.

Abstract

Aim This study aims to investigate changes in clientele, distribution of main substance diagnoses and treatment outcomes in outpatient addiction care by analysing data of the German Addiction Care Statistical Service (DSHS) over ten years. Observed trends will be discussed against the background of changing social and health care policy conditions.

Materials & Methods Data of the DSHS, which was documented between 2007 and 2016 in participating outpatient treatment facilities, was analysed descriptively. Besides developments in capacity, analyses describe sociodemographic, disorder- and treatment-related parameters over time.

Results Number of participating treatment facilities (2007: n=720; 2016: n=863) has raised in the examined period. Besides changes in sociodemographic characteristics (rising average age, rising female share, higher educational level), particularly the composition of main substance diagnoses has changed. Even though alcohol use disorder is still the most common diagnosis, its proportion dropped from 57.3 to 48.9%. Equally, the proportion of opioid use disorder decreased from 18.6 to 13.7%, whilst cannabis use disorder showed a strong increase (2007: 12.1%, 2016: 17.8%). Treatment outcomes remained consistently positive over time.

Conclusions The constantly positive treatment outcomes indicate that changes in clients’ needs are effectively met. For the future we expect a rising number of elderly clients and of clients with migration background. This in turn might create the need for further adapting addiction care.



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
27. April 2021

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