Zeitschrift für Palliativmedizin 2022; 23(01): 1-2
DOI: 10.1055/a-1688-7626
Editorial

Bildung und Forschung in der Palliativversorgung – Vorreiterrolle der Deutschen Krebshilfe

Liebe Leserin, lieber Leser,

was heute ein unverzichtbarer Teil des Gesundheitssystems ist – die Versorgung schwerstkranker, nicht heilbarer Patienten – war Anfang der 80er-Jahre in Deutschland schlicht nicht existent. Vergeblich suchten Schwerstkranke und ihre Angehörigen nach palliativmedizinischen Angeboten. Daher muss es als früher Meilenstein bezeichnet werden, dass bereits wenige Jahre nach der Gründung der Deutschen Krebshilfe durch Mildred Scheel im Jahr 1974 engagierte Menschen wie Professor Dr. Dr. Heinz Pichlmaier, Dr. Ingeborg Jonen-Thielemann, Professor Dr. Eberhard Klaschik und Dr. Helmut Zielinski – unbestritten Pioniere der Palliativmedizin in Deutschland – Kontakt zu der noch jungen Organisation aufnahmen. Ihr gemeinsames Ziel: diesen Missstand zu beheben und über die dringende Notwendigkeit der Förderung von palliativen und hospizlichen Konzepten zu sprechen.

Und dies zu einer Zeit, als viele Ärzte noch der Meinung waren, dass eine solche Form der Medizin nicht erforderlich sei, da sie die Patienten doch selbst ausreichend behandeln könnten und die Palliativversorgung deshalb keinen Mehrwert darstellen würde. Andere Stimmen, auch aus den Kirchen, wollten Menschen am Lebensende nicht „ghettoisieren“ – eine damals wie heute provozierende Aussage. Die Deutsche Krebshilfe hat sich dadurch nicht beirren lassen. Sie war damals bereits fest davon überzeugt, dass zu einer umfassenden Versorgung von Krebspatienten auch palliativmedizinische Angebote gehören.

1983 gab die Deutsche Krebshilfe den ersten Anstoß, diese klaffende Lücke in der Versorgung krebskranker Menschen zu schließen: Sie errichtete am Universitätsklinikum Köln die erste Palliativstation Deutschlands, die zum bundesweiten Vorreiter wurde. Inzwischen konnten mehr als 350 Palliativstationen in Krankenhäusern etabliert werden, deren Einrichtung für die entsprechenden Kliniken zunehmend zu einem relevanten Qualitätskriterium wurde. Heute werden Betroffene bundesweit durch multiprofessionelle Teams im ambulanten und stationären Bereich sowohl in der allgemeinen (AAPV) als auch der spezialisierten (SAPV) Palliativversorgung mit hoher Qualität behandelt. Das Recht auf eine solche Versorgung ist seit 2007 zudem gesetzlich verankert.

Im Zuge der Entwicklung palliativmedizinischer Strukturen hat sich die Deutsche Krebshilfe auch sehr früh bereits für qualitativ hochwertige Weiterbildungsangebote eingesetzt. Aus- und Fortbildung war ihr stets ein vordringliches Anliegen – auch um die Palliativmedizin in der Breite zu verankern. Gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) hat sie die ersten wissenschaftlich evaluierten Curricula für alle in die Versorgung unheilbar erkrankter Menschen involvierten Berufsgruppen mit verantwortet. In den ersten Kursen für Palliative Care/Palliativmedizin zeigten sich zunächst große Wissenslücken bei den Behandelnden, die dringend den neuen Anforderungen entsprechende Angebote und Konzepte in der Bildungsarbeit erforderlich machten. Mit der 1993 gegründeten Dr. Mildred-Scheel-Akademie in Köln hat die Deutsche Krebshilfe einen wichtigen Eckpfeiler für eine bedarfsgerechte und fundierte Aus- und Weiterbildungsstruktur in der Palliativmedizin gesetzt. In der Folge zeigte sich ein rasch steigender Bedarf an weiteren Akademien, um die Bildungsarbeit flächendeckend und wissenschaftlich voranzubringen. Heute fördert die Deutsche Krebshilfe deutschlandweit fünf Akademien in Bonn, Dresden, Göttingen, Köln und München, die gemeinsam im Verbund agieren und Bildungsmaßnahmen in den Bereichen Palliativmedizin und Palliative Care entwickeln und anbieten.

Um die Palliativmedizin auch in der universitären Ausbildung und im Hochschulbereich zu etablieren, hat die Deutsche Krebshilfe im Jahr 2005 am Universitätsklinikum Köln die erste Stiftungsprofessur für Palliativmedizin eingerichtet. Später folgten mit ihrer Anschubfinanzierung weitere Stiftungsprofessuren in Bonn, Göttingen, Freiburg, Erlangen und Mainz, um der Palliativmedizin in Forschung und Lehre weiteres Gewicht zu verleihen. Inzwischen ist das Querschnittsfach Palliativmedizin im Medizinstudium verpflichtend.

Um insbesondere die studentische Lehre weiter zu stärken und zu verbessern, hat die Deutsche Krebshilfe in den Jahren 2006 und 2014 zudem „Train the Trainer“-Angebote für Lehrende im Bereich der medizinischen Fakultäten initiiert und gefördert, die vom Verbund der Akademien organisiert und durchgeführt wurden. Ziel war es, Ärztinnen und Ärzten fundierte Lehrkompetenz im Fach Palliativmedizin zu vermitteln und ihre bisherigen Methoden auch kritisch zu hinterfragen. Die Seminare wurden in enger Zusammenarbeit mit Expertinnen und Experten des Center for Palliative Care der Harvard Medical School durchgeführt.

Die Deutsche Krebshilfe sieht die Bildungsarbeit als Grundlage für eine umfassende und hochwertige palliativmedizinische Versorgung an. Fortlaufend entwickeln die von der Deutschen Krebshilfe geförderten Akademien im Verbund neue Lehrformate und evaluieren deren Wirksamkeit, stets in enger Abstimmung mit der DGP. Dieses Vorgehen hat sich insbesondere während der Corona-Pandemie bewährt. So haben die Akademien gemeinsam Online-Angebote entwickelt und deren Effektivität – wie auch in dieser Ausgabe vorgestellt – wissenschaftlich untersucht.

Die Konzeption und Einführung des „Mildred-Scheel-Diploms“ stellt ein weiteres Ergebnis der gemeinsamen Arbeit der Akademien dar. Dieses Zertifikat trägt dazu bei, dass Fachkräfte nach einer entsprechenden Basis-Qualifikation im Bereich Palliative Care/Palliativmedizin durch eine umfassende Vertiefung ihres theoretischen und praktischen Wissens einen weiteren Abschluss auf ihrem beruflichen Bildungsweg erreichen können. Auch für die Entwicklung und Umsetzung des Mildred-Scheel-Diploms war die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der DGP als wissenschaftliche Fachgesellschaft eine wesentliche Voraussetzung.

Liebe Leserinnen und Leser, die Deutsche Krebshilfe sieht es auch in Zukunft als ihre Aufgabe an, die Weiterentwicklung der Palliativmedizin in unserem Land zu unterstützen. In diesem Sinne werden wir auf die Weiterbildung, Forschung und Lehre ein besonderes Augenmerk richten. Unter der Voraussetzung einer Verstetigung würden wir uns dabei auch zeitlich befristeten Anschubförderungen von weiteren notwendigen Lehrstühlen und Professuren nicht verschließen.

Ihr

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Gerd Nettekoven
Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Krebshilfe



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Article published online:
03 January 2022

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