Klin Monbl Augenheilkd 2022; 239(05): 644
DOI: 10.1055/a-1797-6307
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Alan B. Scott, MD †

Alan Scott verstarb am 16. Dezember 2021 im 90. Lebensjahr. Er war der Erfinder der Botulinumtoxin-Therapie, mit der er das Schicksal unzähliger Patienten in zahlreichen medizinischen Disziplinen revolutionierte. Er wurde am 13. Juli 1932 geboren, studierte Medizin und wurde Augenarzt. Mit A. Jampolsky gründete er 1961 das bekannte Smith-Kettlewell Eye Research Institute in San Francisco, war dort lange Co-Direktor und widmete sich dort, bis 2013 tätig, hauptsächlich der Schielbehandlung.

Anfang der 1970er-Jahre verfolgte er die Idee, Schielfehlstellungen durch chemische Eingriffe an Augenmuskeln zu behandeln, um den meist kindlichen Patienten Operationen zu ersparen. Nach jahrelangen Versuchen testete er auch Botulinumtoxin, das ihm hinsichtlich Reinheit und Stärke von Spezialisten der Universität Wisconsin vorbereitet wurde. Nachdem sich gezeigt hatte, dass mit Botulinumtoxin eine mehrmonatige, vollständig reversible und hochgradig lokale Parese der äußeren Augenmuskeln zu erreichen war und so die Schielstellung korrigiert werden konnte, kam es Ende der 1970er-Jahre zu ersten Anwendungen bei Patienten. Scott nannte die neue Substanz Oculinum und 1989 kam es zur formalen Medikamentenzulassung durch die amerikanische Food and Drug Administration. Die hierfür von Scott gegründete Oculinum Company wurde 1991 von der kalifornischen Firma Allergan übernommen. Dabei wurde das Medikament in Botox umbenannt. Unmittelbar nach dem Einsatz bei Strabismus wurde klar, dass Botulinumtoxin auch bei anderen Krankheitsbildern eingesetzt werden kann, bei denen die Muskelaktivität reduziert werden muss. Dies waren zunächst die Dystonien, die in der Ophthalmologie als Blepharospasmus auftreten. Es folgten Spasmus hemifacialis, Spastik, Zerebralparese, Tics und Tremor, aber auch gastrointestinale Störungen und Störungen der Harnblasenmotorik. Derzeit umfasst dieses Indikationsgebiet mindestens 26 Krankheitsbilder in 6 medizinischen Disziplinen.

Am bekanntesten wurde der Einsatz von Botulinumtoxin in der ästhetischen Medizin, dessen Wirkung hier ebenfalls auf seiner muskelentspannenden Eigenschaft beruht. Scott hat sich aber für dieses Anwendungsgebiet nie interessiert. Später zeigte sich, dass Botulinumtoxin auch die Innervation exokriner Drüsen modulieren kann und dass damit Hyperhidrose und Hypersalivation hocheffektiv behandelt werden können.

Vor einigen Jahren erhielt Botulinumtoxin auch eine Medikamentenzulassung für die Behandlung chronischer Migräne. Seit Kurzem wird selbst dessen Einsatz zur Behandlung von Depressionen untersucht.

Insgesamt hat sich Botulinumtoxin in den vergangenen Jahren zu dem Medikament mit den vielfältigsten Anwendungen in zahlreichen medizinischen Disziplinen entwickelt. Nur: Die ursprüngliche Bestrebung von Scott, die Schieloperation zu ersetzen, wurde nicht erreicht, weil die postoperativen Winkelresultate langfristig zu inkonstant waren. Trotzdem gibt es in der Augenheilkunde noch eine Reihe von sinnvollen Einsätzen: neben dem essenziellen Blepharospasmus und Spasmus hemifacialis auch die Verabreichung bei Konvergenzkrampf, bei Überfunktion der Tränendrüse, die Erzeugung einer temporären protektiven Ptosis, die Oberlidverlängerung bei endokriner Orbitopathie und die Behandlung von Fehlregenerationen nach Fazialisparese.

Alan Scott hat die europäischen Augenärzte, vor allem die Strabologen, oft besucht. Sie haben einen vielseitig interessierten, liebenswerten, bescheidenen und hilfsbereiten Freund verloren.

Peter Roggenkämper, Bonn



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Article published online:
10 May 2022

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