Diabetes aktuell 2022; 20(07): 303
DOI: 10.1055/a-1919-6270
Editorial

Wussten Sie, wie wir unsere Patienten ernähren?

Antje Bergmann
1   Dresden
,
Peter E.H. Schwarz
2   Dresden
› Author Affiliations

Haben Sie schon einmal von einem Patienten gehört, der das Krankenhausessen gelobt hat? Auf der anderen Seite fragt man den Patienten, wie es im Krankenhaus war, wird sehr schnell über das Essen berichtet. Ernährung im Krankenhaus scheint für die Patienten einen wichtigen emotionalen Anker darzustellen, da es ja fast die einzige Konstante zwischen häuslichem Umfeld und Krankenhaus darstellt.

Das Essen im Krankenhaus hat aber noch eine ganze andere Dimension. In den allermeisten Kliniken ernähren wir unsere Patienten im Krankenhaus unterkalorisch. Gerade für unsere häufig übergewichtigen Typ-2 Diabetes-Patienten gibt es dafür auch eine gute Rationale – der Patient soll ja abnehmen. Was passiert aber gerade bei unseren Patienten, die mit diabetischem Fußsyndrom zum Teil 3, 4 oder 5 Wochen im Krankenhaus liegen: Sie nehmen ab, aber in erster Linie Muskelmasse. Vor einigen Tagen gab es ein Treffen zwischen unseren Orthopäden und uns, und hier wurde die Ernährung im Krankenhaus in einen ganz anderen Kontext gestellt.

Es gibt erste Studien, die zeigen, dass die Ernährung im Krankenhaus prä-, peri- und postoperativ von entscheidender Bedeutung für den Heilungsprozess ist. Hier spielen einmal die Insulinresistenz und der Glukosespiegel eine Rolle. Ein prä-, peri- und postoperativ erhöhter Glukosespiegel in Kombination mit einer Insulinresistenz kann den Heilungsprozess von den komplizierten Wunden bis zum 5-Fachen verlängern. Das kann bedeuten, 5-mal so lange Liegezeiten. Stellen Sie sich jetzt aber Patienten vor mit osteoporotischen Frakturen oder vielen Stunden andauernden Wirbelsäulenoperationen. Für diese Patienten ist die Mobilisation nach der Operation von entscheidender Bedeutung. Dafür wiederum sind Muskelmasse und Muskelstärke ein entscheidender Faktor. Neue Konzepte besagen daher, dass die Krankenhausernährung in diesen Fällen auf keinen Fall unterkalorisch sein soll, sondern vielleicht sogar hochkalorisch, auf alle Fälle aber mit einem sehr hohen Proteinanteil. Wir können ja durchaus davon ausgehen, dass 2500–3000 Kilokalorien für Patienten auch vor einer umfangreichen orthopädischen Operation und insbesondere im Anschluss daran entscheidend für den Heilungsprozess, die Mobilisation und letztendlich auch für die Lebensqualität der Patienten sind.

Was bedeutet das jetzt aber für unsere Diabetes-Patienten? Müssen wir nicht das gleiche Modell auch für unsere Fußpatienten, die viele Tage und Wochen im Bett liegen, anwenden? Wir erwarten ja von unseren Patienten, dass sie nach der Fußbehandlung stabil mit angepasstem Schuhwerk laufen, sorgen aber selbst im Vorfeld dafür, dass sie durch die lange Liegezeit im Krankenhaus an Muskelmasse verlieren. Ich denke auch hier sollte umgedacht werden, um für Patienten eine sehr proteinreiche Ernährung im Krankenhaus, die durchaus auch überkalorisch sein kann, zu realisieren. Sicherlich wird es dabei kritische Stimmen geben, gerade für unsere Typ-2-Diabetiker mit Insulinresistenz. Ich glaube aber, wir sind klug genug herauszufinden, wie eine hochkalorische proteinreiche Ernährung so gestaltet werden kann, dass sie Insulinresistenz reduziert, Blutzuckerwerte normalisiert und gleichzeitig hilft Muskeln aufzubauen. Vielleicht muss es ja nicht jeden Tag das Filetsteak mit Spinat beim Krankenhausessen sein… Vielleicht ja aber doch.

Viele herzliche Grüße,

Ihre Antje Bergmann und Peter Schwarz



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Article published online:
11 November 2022

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