Darm und Rheuma

Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

jede internistische Fachrichtung hält ihr Schwerpunkt-Organ verständlicherweise für das wichtigste (oder zumindest eines der wichtigsten) und mit Hippokrates‘ Einschätzung, dass alle Krankheiten im Darm beginnen („Der Darm ist der Vater aller Trübsal“), haben die Gastroenterolog*innen einen weisen und prominenten Fürsprecher. 2500 Jahre später gibt die medizinisch-wissenschaftliche Forschung dieser These neue schlagkräftige Argumente. Die Mikrobiom-Forschung der vergangenen Jahre eröffnet mit dem Nachweis weitreichender immunologischer und metabolischer Effekte tatsächlich völlig neue Perspektiven der Krankheitsentstehung, auch der rheumatischen Erkrankungen. Das „Bauchgefühl“ ist ein geflügeltes Wort mit fundierter wissenschaftlicher Grundlage, die „Darm-Hirn-Achse“ hat wesentlichen Einfluss auf unsere Gesundheit. „Der Mensch ist, was er isst“ (Ludwig Feuerbach), Ernährung hat angesichts der Pandemie metabolischer Erkrankungen wie Adipositas und Diabetes mellitus unbestritten krankheitsrelevante Auswirkungen. Die Bedeutung für rheumatische Erkrankungen wird oft unterschätzt, wobei immunmetabolische Interaktionen sowohl bei der Pathogenese (z. B. „Metaflammation“) als auch der Behandlung Einfluss nehmen. Ernährungstherapeutische Maßnahmen bei rheumatischen Erkrankungen werden von unseren Patient*innen im Praxisalltag oft nachgefragt, ihre Wirksamkeit ist allerdings schwierig zu evaluieren. Die Konstellation Darm und Rheuma ist darüber hinaus spannend, da viele rheumatische Erkrankungen (bzw. auch deren Therapie) gastrointestinale Symptome (und vice versa) verursachen und es zahlreiche klinische und pathophysiologische Überlappungen wie bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) und Spondylarthropathien/enteropathischen Arthritiden gibt.

Dieses Themenheft widmet sich dieser interdisziplinären Problematik. Herr Prof. Dr. Bachmann und Frau Dr. Lipinski geben hierbei ein Update zur Pathogenese, Diagnostik und Therapie der chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen inkl. Beleuchtung der extraintestinalen Organbeteiligungen Gelenke, Wirbelsäule und Auge.

Frau Dr. Baas fasst in ihrem Übersichtsartikel den aktuellen Wissensstand zur Zöliakie zusammen samt den aktuellen Empfehlungen zum diagnostischen Vorgehen. Insbesondere geht sie auf die möglichen Organsymptome und -befunde außerhalb des Darmbefalls ein und zeigt auf, wann auch von rheumatologischer und orthopädischer Seite an eine Zöliakie gedacht werden sollte.

Herr Dr. van Wijnen, Herr PD Dr. Klemm und Kollegen nehmen sich des Themas Darmbeteiligung der Systemsklerosen an; eine Organbeteiligung, welche zurecht zunehmend Beachtung findet und bei einem großen Teil der Patient*innen Beschwerden bis Komplikationen verursacht. Sie haben die aktuelle Studienlage, diagnostisches Vorgehen und therapeutische Möglichkeiten zu den einzelnen Abschnitten des gastrointestinalen Trakts übersichtlich aufbereitet.

Frau Dr. Rohmann und Kolleg*innen erläutern in ihrem Beitrag, wie nah sich die Entzündungsmechanismen im Gewebe bei der Adipositas und der rheumatoiden Arthritis stehen und wie sich die metabolische Inflammation verstärkend auf das Erkrankungsrisiko und die Aktivität der rheumatoiden Arthritis auswirkt. Sie weisen auf gemeinsame therapeutische Ansätze für beide Seiten hin.

Zuletzt bietet Frau Dr. Bartholomä eine Übersicht über die Datenlage zu Ernährungsempfehlungen bei rheumatischen Erkrankungen und die vorhandenen pathophysiologischen Überlegungen zur Beeinflussung von Entzündungsaktivität und Krankheitsentstehung. Ein Thema, welches zur Unterstützung der medikamentösen Therapie und zur individuellen Lebenstil-Beratung der Patient*innen im Behandlungsalltag eine wichtige Rolle spielt.

Wir hoffen, dass Ihnen dieses Übersichtsheft nicht nur Freude beim Lesen bereitet, sondern auch konkretes, neues Wissen vermittelt, welches Sie im Behandlungsalltag nutzen und umsetzen können.

Ihre
Jutta Bauhammer und Olaf Schultz
Baden-Baden

Publication History

Article published online:
15 April 2025