Dialyse aktuell 2008; 12(4): 199
DOI: 10.1055/s-0028-1082091
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Mangel an Spenderorganen – Gibt es Auswege aus dem Dilemma?

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Publication Date:
10 July 2008 (online)

Von Berlin nach Bremen – diese Strecke oder zumindest Teile davon radelten die Teilnehmer der zweiten Radtour „pro Organspende”. Und pünktlich am Tag der Organspende, am 07. Juni, kamen sie an ihrem Ziel an. Schon im letzten Jahr waren die Radler begeistert: „Mit solchen Aktionen geben Sie der Transplantationsmedizin ein Gesicht”, „so sieht man als 'Arzt an der Front', warum das Engagement Sinn macht” oder „so bekommt man Motivation, weiter für diese Sache einzutreten” war damals zu hören.

Tatsache ist: Solche Aktionen machen Hoffnung. Zum Beispiel darauf, dass sich der positive Aufwärtstrend bei den Organspenden weiterhin fortsetzt. Führt doch die Radtour den Nutzen der Transplantationsmedizin der breiten Öffentlichkeit vor Augen. Denn die Radler zeigen, wie gut Dialysepatienten und Transplantierte leben können und wie leistungsfähig sie sind. Doch trotz der erfreulicherweise etwas gestiegenen Spendenbereitschaft reichen die Organe bei Weitem nicht aus, um den Bedarf auch nur annähernd zu decken. Über 8000 Patienten waren im letzten Jahr auf der Warteliste für eine Nierentransplantation aufgenommen worden – und nicht einmal 3000 davon haben tatsächlich eine neue Niere erhalten, berichtet Eurotransplant.

Könnte zum Beispiel die Einführung der Widerspruchs– statt der erweiterten Zustimmungsregelung Abhilfe schaffen? Europaweiten Ländervergleichen zufolge, scheinen die unterschiedlichen Modelle allerdings keine Auswirkungen auf die Spendenbereitschaft der Bevölkerung zu haben, so argumentiert zumindest der CDU–Abgeordnete Dr. med. Peter Liese. Unterstützt wird seine Argumentation auch durch die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Elisabeth Scharfenberg, Biggi Bender und Dr. Harald Terpe schreiben in einer Pressemitteilung zum Tag der Organspende: „Die Widerspruchslösung führt nicht automatisch zu mehr Organspenden. Das zeigen auch internationale Vergleiche. So weist beispielsweise Irland mit einer Zustimmungslösung mehr Organspenden auf als Ungarn, wo die Widerspruchslösung gilt. Auch in Spanien werden die weltweit höchsten Spenderzahlen von spanischen Experten selbst nicht auf die dort geltende Widerspruchslösung zurückgeführt, sondern in erster Linie auf eine sehr gute Koordinationsarbeit und eine finanziell gute Ausstattung des Systems.” Selbst innerhalb von Deutschland variieren die Spenderzahlen regional sehr stark. Oder wäre tatsächlich ein finanzieller Anreiz für eine Organspende eine Überlegung wert? Einer aktuellen niederländischen Studie zufolge, könnten sich immerhin 5,5 % der Befragten vorstellen, eine Niere anonym einer unabhängigen Organisation zur Verfügung zu stellen. Und sogar jeder Vierte hielt entsprechende Überlegungen für sinnvoll.

Sollten wir uns lieber ein Beispiel an unseren „Nachbarn” nehmen und die Organentnahme bereits zehn Minuten nach einem Nulllinien–EKG erlauben, wenn der potenzielle Spender oder seine Angehörigen ausdrücklich auf lebenserhaltende Maßnahmen verzichtet haben? Nach Ansicht der Bundesärztekammer belege jedoch jede – auch nur vorübergehende – Reanimation, dass ein Herzstillstand nicht als Todeszeichen gelten könne.

Oder könnte man das Problem über ein „Abspecken” der Warteliste in den Griff bekommen, indem man eine zu erwartende mangelnde Compliance konsequent als Kontraindikation zur Transplantation wertet? Aber wer kann sagen, wann sich ein Patient ganz bewusst unkooperativ verhält, wann sein Verhalten eher den Umständen geschuldet ist oder ob unterstützende soziale Maßnahmen die Compliance des Patienten deutlich verbessern könnten? Ein psychologischer Gutachter?

Sicher ließe sich auch der potenzielle Organspenderpool erweitern. So lassen sich beipielsweise inzwischen Nieren blutgruppenunabhängig transplantieren – allerdings nur in Kombination mit einer Lebendspende. Laut Transplantationsgesetz darf allerdings von einer lebenden Person nur dann ein Organ entnommen werden, wenn kein postmortales Organ zur Verfügung steht, um möglichst wenig Gesunde den großen Belastungen (medizinisch und seelisch) im Rahmen einer Transplantation auszusetzen. Ein Scheinargument? Denn Entfernung der Antiblutgruppen–Antikörper beim Transplantatempfänger schon Wochen vor der Therapie macht keinen Sinn, wenn dann in letzter Sekunde doch das postmortale Organ transplantiert werden müsste.

All diese Fragen sind aus ethischer Sicht sicherlich nicht leicht zu beantworten. Daher wird es – zumindest in nächster Zukunft – nicht sehr viel mehr Möglichkeiten geben, als öffentlichwirksame Aktionen zu planen, um das Interesse in der Bevölkerung für das Thema zu verbessern – und da ist eine Radtour wie die von dem Verband TransDia e. V. nicht das Schlechteste. Vielleicht haben solche Aktionen sogar noch einen weiteren Effekt und die Beobachter passen besser auf ihre Nieren auf. Zu wünschen wäre es!

Stephanie Schikora

Stuttgart

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