Rofo 2008; 180(9): 775-780
DOI: 10.1055/s-0028-1085533
Bildessay

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Bildgebung der extramedullären Hämatopoese

Extra-medullary Hematopoiesis: Imaging Findings
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Publication Date:
22 August 2008 (online)

 

Hämatopoese beschreibt die Proliferation und Differenzierung von pluripotenten Stammzellen zum zellulären Bestandteil des Blutes. Hierzu gehören die Erythrozyten, die Myelozyten sowie die Lymphozyten. Während der Embryonalentwicklung erfolgt die Hämatopoese über Zellen im Dottersack, die sogenannte mesoblastische Hämatopoese. Im Folgenden findet die Hämatopoese in der Leber und Milz statt (hepatische Hämatopoese), bevor sie ca. ab dem 7. Monat der Fetalentwicklung hauptsächlich durch das Knochenmark übernommen wird (myeloide Hämatopoese).

Bei Neugeborenen kann in nahezu allen Knochen Blut gebildet werden. Beim Erwachsenen hingegen findet nur noch in ca. 30 % des sogenannten roten Knochenmarks Hämatopoese statt, hauptsächlich in den proximalen Anteilen der langen Röhrenknochen sowie flachen Knochen des Beckens, des Kopfes, der Rippen und der Wirbelkörper.

Ist die Hämatopoese an ihren regulären Bildungsorten gestört oder durch proliferative Erkrankungen insuffizient, kann außerhalb des Knochenmarks blutbildendes Gewebe entstehen ("extramedulläre Hämatopoese"). Am häufigsten ist diese in Milz und Leber beschrieben, die wieder ihre ehemals aufgegebene Funktion aufnehmen. Aber auch andere Lokalisationen wurden beschrieben und prinzipiell kann jedes Organ betroffen sein.

Zu den häufigen Ursachen der extramedullären Hämatopoese gehören die Thallassämie, die Sichelzellanämie oder die hereditäre Sphärozytose, bei denen durch Produktion fehlerhafter Erythrozyten eine konsekutive Kompensation des insuffizienten Knochenmarks stattfindet. Eine andere wichtige Ursache stellt die Unfähigkeit des Knochenmarks dar, nicht ausreichend Hämatopoese zu betreiben. Hierzu zählen z.B. die Eisenmangelanämie, die perniziöse Anämie, die Polyzytämia vera, die Myelofibrose und Myelosklerose sowie die verschiedenen Formen der Leukämie.

Normalerweise haben die Patienten mit extramedullär hämatopoetischem Gewebe keine Klinik und die Befunde fallen zufällig bei konventionell-radiologischen, CT-, MRT- oder szintigrafischen Untersuchungen auf. In seltenen Fällen kann die paraspinale extramedulläre Hämatopoese zu klinischen Symptomen führen, wenn die Bogenwurzeln oder der Spinalkanal komprimiert werden. Im Thoraxbereich können Pleuraspalt und Mediastinum durch vermehrte Raumforderung oder intrapulmonales Wachstum in ihrer Funktion eingeschränkt werden und zu klinischen Symptomen wie der respiratorischen oder kardialen Insuffizienz führen. Indirekte Zeichen einer mangelhaften Knochenmarksfunktion können z.B. bei der Thalassämie Kardiomegalie und schlechte Auswurfleistung des Herzens sein. Durch die Bildgebung kann die entsprechende Diagnose häufig vermutet werden, die für das weitere Procedere und die Therapie wichtig ist.

Typischerweise stellen sich Herde extramedullärer Hämatopoese bei der Bildgebung glatt und scharf berandet und zum Teil lobuliert dar. Meistens treten die Herde bilateral auf. Dabei tritt eine paraossäre oder paraspinale extramedulläre Hämatopoese häufiger in Fällen von kongenitaler hämolytischer Anämien auf (Abb. [1a], [1b], [1c], [1d], [1e] ). Andererseits finden sich extraossäre Herde üblicherweise bei Erkrankungen mit Knochenmarksinfiltration oder -depression. Häufige extraossäre Lokalisationen sind Leber und Milz sowie Lymphknoten, Nebennieren und Nierenbecken.

Abb. 1 Patient mit Sphärozytose und sekundärer extramedullärer Hämatopoese (EMH). Konventionelle Thoraxaufnahmen (p.a. und seitlich) zeigen eine Raumforderung mit Mediastinalverbreiterung, die sich im Seitenbild dem posterioren Mediastinum zuordnen lässt (a, b). Diese Lokalisation ist suggestiv für das Vorliegen einer EMH oder eines neurogenen Tumors. Koronare MPR des Abdomens mit Darstellung einer typischen Lokalisation der EMH, paravertebrale bilaterale (Pfeil) EMH (c). d (native CT) zeigt muskelisodense (Pfeil) EMH vor geplanter Splenektomie. Derselbe Befund, 10 Wochen nach Splenektomie, zeigt eine rasche Dichtereduktion der EMH (e) bedingt durch den Abbruch des vermehrten Erythrozytenabbaus in der Milz.

In der nativen CT zeigen sich die paravertebralen Herde isodens zum umgebenden Muskelgewebe [RV Gumbs, EA Higginbotham-Ford, JS Teal et al. Am J Roentgenol 1987; 149: 889–893]. Paraspinal auftretende neurogene Tumoren des Grenzstrangs, wie beispielsweise bei der Neurofibromatose Typ I, können in der Bildgebung zu Differenzierungsschwierigkeiten führen, durch die klinische Anamnese jedoch meist unterschieden werden. Im vorliegenden Beispiel konnte nach Splenektomie eine deutliche Größen- und Dichtereduktion des Herdes festgestellt werden, sodass die Verlaufsdokumentation die Beurteilung mit beeinflussen kann, nachdem ein erhöhter Erythrozytenabbau durch die Milz wegfällt.

Die Herde in Leber und Milz können diffus und herdförmig auftreten und teilweise von bedeutender Größe werden (Abb. [2a], [2b], [2c]). Trotzdem ist die Funktion der betroffenen Organe nur selten eingeschränkt und auch bei der klinischen Untersuchung fallen diese Herde praktisch nicht auf, weder durch abdominelle Beschwerden noch durch Organomegalie [MD Wiener, RA Halvorsen Jr, RT Vollmer et al. Am J Roentgenol 1987; 149: 1171–1172]. Nach häufigen Transfusionen können sich die Hämosiderose oder die Hämochromatose entwickeln, die durch eine derb tastbare Leber oder eine vergrößerte Milz apparent werden können. Hilfreich bei der Differenzierung von extramedullärer Hämatopoese ist das Kontrastierungsverhalten der Herde in CT und MRT. Die Herde stellen sich meist homogen strukturiert und glatt berandet dar. In der CT und MRT zeigen Herde meist eine schwache bis mäßige Kontrastmittelaufnahme, sodass eine Differenzierung von Hämangiomen nach Kontrastmittelgabe leicht fällt. So zeigt sich häufig bei periportaler extramedullärer Hämatopoese in der Leber keine gute Abgrenzbarkeit zwischen Vena portae sowie ihren Ästen und dem hämatopoetischem Gewebe. Nach Kontrastmittelgabe hebt sich jedoch die kontrastierte Vene von angrenzendem hypointensem, extramedullär hämatopoetischem Gewebe besser ab (Abb. [3a], [3b]).

Abb. 2 Bildbeispiele von splenischen, fokalen EMH-Herden in 2 Patienten mit Polyzytemia vera. KM-angehobene Abdomen-CT (a): Nachweis zweier, hypodenser EMH-Herde (Pfeile) in der Milz. Typisch dabei sind die homogene Dichte und glatte Berandung sowie die geringere KM-Aufnahme im Vergleich zum Milzparenchym. MR-tomografisch stellen sich die intralienalen EMHs (kurze Pfeile) in der Regel T2-iso- bis hypointens (b), T1-post-Gd (c) ebenfalls hypointens zum benachbarten Parenchym dar. Nebenbefundlich lassen sich mehrere Milzhämangiome (lange Pfeile) erkennen, die sich T2-hyper-, T1-post-Gd ebenfalls hyperintens zum Milzparenchym darstellen.

Abb. 3 Bildbeispiele von intrahepatischen EMHs. Die axiale post-KM-CT (a) zeigt mehrere (Pfeile) hypodense, schwer abgrenzbare, hepatische Herde im Rahmen einer EMH. In b lässt sich eine KM-aufnehmende Gewebsvermehrung periportal nachweisen (Pfeile). Diese stellt eine häufige Manifestationsform der EMH dar.

Seltene Lokalisationen der extramedullären Hämatopoese stellen peritoneales (omentales) und epipleurales hämatopoetisches Gewebe dar (Abb. [4a], [4b]). Ein mesenterialer Befall kann sich differenzialdiagnostisch ähnlich wie eine Lymphadenopathie oder metastatisches Gewebe darstellen [C Holden, O Hennessy, W-K Lee. Am J Roentgenol 2006; 186: 507– 509]. Auch eine parapelvine extramedulläre Hämatopoese kann selten beobachtet werden, da die intrauterine Hämatopoese hier regulär stattfindet.

Abb. 4 Seltene Lokalisationen von EMH schließen die peritoneale (omentale)(a, Pfeil) und die epipleurale (b, Pfeil) ein. In b sind außerdem auch paravertebrale EMHs zu sehen.

Paranephritische Herde stellen sich in der Regel glatt begrenzt dar und umringen die Nieren, meist ohne deren eigentliche Form zu verändern. Ebenso ist der Befall der Nieren eine seltene Lokalisation. Innerhalb der Nieren treten parenchymatöse, meist noduläre Herde auf. Seltener kann ein Befall des Nierenbeckenkelchsystems oder auch der Ureteren beobachtet werden (Abb. [5a], [5b], [5c], [5d]) [KK Kopecky, AT Moriarty, AC Antony et al. Am J Roentgenol 1986; 147: 846–847]. Klinisch apparent wird ein solcher Befall, wenn es in seltenen Fällen zu einer Obstruktion der ableitenden Harnwege kommt.

Abb. 5 Bildbeispiele von para- und intrarenalen Manifestationen von EMH. a zeigt eine vorwiegend pararenale EMH mit nodulärem Charakter (Pfeile). Wie bei anderen Lokalisationen stellen sich die EMHs homogen dicht und gut vaskularisiert dar. Intrarenale und parapelvine EMHs lassen sich in b (Pfeile) nachweisen. Hydronephrosen sind bei Ummauerung des Nierenbeckens und der Ureteren (Pfeile) möglich (c). Selten erstrecken sich die EMHs entlang des gesamten NBKS (d, Pfeile).

Weitere bildgebende Verfahren können nötig sein, wenn die Differenzierung zu anderen Erkrankungen nicht sicher abzugrenzen und eine Biopsie zur histologischen Diagnosesicherung nicht ratsam ist, z.B. aufgrund eines erhöhten Blutungs- oder Infektionsrisikos oder eines schlechten Zugangswegs. Die ausführliche klinische Vorgeschichte des Patienten ist daher ebenfalls von großer Bedeutung.

Differenzialdiagnostisch sehr ähnlich zur extramedullären Hämatopoese präsentieren sich Lymphomerkrankungen. Zur sicheren Abgrenzung bietet sich die Knochenmarkszintigrafie mit markierten NCA-95-Antikörpern an, mit der sich neutrophile Granulozyten und deren Vorstufen bis zu den Promyelozyten darstellen lassen. In der SPECT-Technik gelingt es auf diese Weise, spezifisch eine extramedulläre Hämatopoese (hier: Granulopoese) nachzuweisen und gegen Raumforderungen anderer Genese abzugrenzen. Eine Limitation dieser Methode ist die begrenzte Auflösung von ca. 1–1,5 cm, sodass kleinere Herde nicht zuverlässig beurteilt werden können. Durch Koppelung mit der Computertomografie als SPECT/CT erhält man eine Fusionsbildgebung, bei der durch Berücksichtigung sowohl funktioneller als auch morphologischer Charakteristika extramedullär hämatopoetischer Herde eine optimale diagnostische Genauigkeit erreicht werden kann (Abb. [6a], [6b], [6c]).

Abb. 6 Zur Differenzierung der EMH von z.B. Lymphomerkrankungen, die morphologisch große Ähnlichkeit zur EMH aufweisen, hilft die Knochenmarkszintigrafie weiter. a demonstriert EMHs, die sich bilateral um die atrophen Nieren ausbreiten und von der Kortikalis nicht mehr sauber abgrenzbar sind (KM-(Kontrastmittel)angehobene axiale fettunterdrückte T1-gewichtete Aufnahme). In der SPECT lässt sich zusätzlich zu der physiologischen Speicherung in Leber, Milz und Knochenmark auch eine kranzförmige Anreicherung perirenal erkennen (b, betont am Unterpol der rechten Niere, Pfeile). Erst die SPECT/CT-Fusion erlaubt die eindeutige Zuordnung der Befunde als pararenale EMHs (c, Pfeile).

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