Was Autonomie und Fürsorge für Experten (Pflegende, Ärzte, etc) am Lebensende bedeuten, wie diese Werte zugleich und miteinander gestaltet werden können und in welcher Weise die Experten ihre Einschätzungen auf sich selbst applizieren, ist Gegenstand einer fragebogengestützten deskriptiven Vignettenstudie (n=152) in
Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die beiden Fallgeschichten enthielten je
sechs Bewertungs-Items mit einer vier-Punkt-Likertskala sowie Fragen zur Selbstapplikation.
Im Pretest wurden die Vignettenfragebögen Experten vorgelegt, um deren Verständlichkeit, Anwendbarkeit,
Inhaltsvalidität sowie Kohärenz zu prüfen. Gatekeeper verteilten in Deutschland und
der Schweiz je 100, in Österreich 40 Bögen in vorfrankierten und -adressierten Umschlägen.
Der Rücklauf lag bei N=152 (Deutschland=63, 6%; Schweiz 25, 2%, Österreich=11, 2%).
Die Auswertung der Fragebögen erfolgte als interpretative Darstellung des Grades der
Übereinstimmung der Probanden mit den kontrastierenden Aussagen der Likert-Skalen,
in Zuordnung zu den Antworten der Selbstapplikation und zwar mittels des Programms
SPSS 15. Die interpretative Darstellung erfolgte im Licht einer Semantik des Unbestimmten (Lehre von der Bedeutung des Unbestimmten).
Im Hinblick auf die Bedeutung zeigt sich, dass beide Grundbegriffe, Autonomie und Fürsorge, sehr weit und damit
auch unklar bestimmt werden. Diese Uneindeutigkeit in der Bedeutungsfrage hat Auswirkungen
auf die Frage nach der Gestaltung. Uneindeutigkeit ist eine Bedingung der Möglichkeit für Gestaltung. Fest definierte
Begriffe oder Vorstellungen bergen die Gefahr des Scheiterns, da sie der Bedeutungsvielfalt
von Situationen kaum gerecht zu werden vermögen. Die gleichzeitige Realisierung beider
Werte, ist für die Probanden offenbar durch die Uneindeutigkeit in der Auffassung
ihrer Bedeutung gegeben. Im Bereich der Selbstapplikation betonten die Probanden zwar
den Wert der Patientenverfügung, sie besaßen jedoch größtenteils selbst keine Patientenverfügung.
Gerade in der Ethik der Heilberufe zählen Handlungsanforderungen und interpersonale
Zumutungen, die nicht eindeutig mit ‘Ja' oder ‘Nein' aufgelöst werden können, zu den
Grundlagen. Für Theoriebildung heiβt das, über die Grenzen der zweiwertigen Logik
in der Ethik nachdenken zu müssen.