Diabetologie und Stoffwechsel 2008; 3(6): 351-352
DOI: 10.1055/s-0028-1098740
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart ˙ New York

Deutsche Forscher entdecken neues Adipositas-Gen

Novel Obesity Gene Identified by German ScientistsH. Staiger1
  • 1Department für Innere Medizin, Universitätsklinik Tübingen
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
09. Dezember 2008 (online)

Diabetes mellitus Typ 2 und Adipositas, die häufigsten Stoffwechselentgleisungen unserer Zeit, weisen eine beachtliche genetische Komponente auf. Gemeinhin wird angenommen, dass die Akkumulation von Risiko-Varianten mehrerer Gene (sog. Risiko-Allele) zum Entstehen dieser Entgleisungen beiträgt. Dabei vermittelt der entsprechende polygenetische Hintergrund eine erhöhte Suszeptibilität für die ungünstigen Auswirkungen moderner Wohlstandsfaktoren, wie kaloriendichte Ernährung und Bewegungsmangel. Während mittels Kandidaten-Gen-Ansätze, genetischer Linkage-Analysen und nicht zuletzt mittels jüngster genomweiter Assoziationsstudien mit sog. SNP-Arrays große Fortschritte bei der Identifizierung von Diabetes-Risiko-Allelen gemacht wurden (inzwischen kennt man über 20 Diabetes-Risiko-Gene), hinkt die Entdeckung der Adipositas-Risiko-Gene deutlich hinterher. Erst im Laufe der letzten beiden Jahre wurden die ersten verlässlichen Kandidaten-Gene beschrieben, das FTO- und das MC4R-Gen [1] [2].

Wie kürzlich in „Nature Genetics“ publiziert [3], konnten nun Wissenschaftler des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke in Zusammenarbeit mit dem schwedischen Karolinska-Institut und der niederländischen Universität Leiden ausgehend von Mäusestämmen mit unterschiedlicher Suszeptibilität für nahrungsinduzierte Adipositas ein neues Adipositas-Risiko-Gen durch genomweite Linkage-Analysen mit anschließendem positionellen Klonieren identifizieren. Dabei konnten die Autoren zeigen, dass der adipositasresistente Mäusestamm SJL eine Mutation (7-Basenpaar-Deletion) im Tbc1d1-Gen aufweist, welche zu einem verkürzten und funktionsuntüchtigen TBC1D1-Protein führt. TBC1D1 ist homolog zu AS160 (alias TBC1D4) und scheint wie dieses eine wichtige Rolle bei der Translokation des insulinsensitiven Glukosetransporters GLUT4 und damit bei der Glukoseaufnahme im Skelettmuskel zu spielen [4]. In Übereinstimmung damit führt die Mutation zu einer verminderten insulinstimulierten Glukoseaufnahme im Skelettmuskel [3]. Die Potsdamer Arbeitsgruppe um Hadi Al-Hasani konnte außerdem zeigen, dass TBC1D1 die Fettsäureaufnahme und -oxidation im Skelettmuskel blockiert, während die Mutation eine Erhöhung der Fettsäureoxidation bewirkt. Auch wenn der molekulare Mechanismus noch im Detail zu klären bleibt, liegt es nahe, dass die Mutation über die gesteigerte Fettsäureverwertung vor nahrungsinduzierter Adipositas schützt. Von besonderem Interesse ist, dass auch bei etwa 9 % aller Menschen eine Mutation im TBC1D1-Gen (Arg125Trp) auftritt, welche speziell bei Frauen mit Adipositas assoziiert ist [5] [6]. Außerdem weisen häufig vorkommende Polymorphismen im TBC1D1-Gen nominale Assoziationen mit Diabetes mellitus Typ 2 auf [3]. Somit stellt TBC1D1 ein neues, im translationalen Forschungsansatz identifiziertes Adipositas-Suszeptibilitäts-Gen dar, welches die Substratflüsse des Skelettmuskels steuert ([Abb. 1]), die Körperfettmasse reguliert und über seinen Effekt auf das Körpergewicht sekundär auch das Diabetes-Risiko beeinflusst.

Abb. 1 Rolle von TBC1D1 im Substratstoffwechsel des Skelettmuskels. TBC1D1 spielt eine wichtige Rolle bei der insulinabhängigen Glukoseaufnahme. Gleichzeitig blockiert es die Aufnahme und Verbrennung von Fettsäuren. Die mutierte Form des TBC1D1 (mutTBC1D1) ändert die Substratverwertung insofern, als durch den Funktionsverlust des Proteins die insulinabhängige Glukoseaufnahme gestört ist und gleichzeitig Fettsäuren aufgenommen und verbrannt werden können. Die gesteigerte Fettsäureverwertung durch mutTBC1D1 ist wahrscheinlich ursächlich für die Adipositas-Protektion.

Diese herausragende und international anerkannte Grundlagenarbeit der Potsdamer Arbeitsgruppe hat es geschafft, die Brücke von der Maus-Genetik zur Humangenetik zu schlagen. Die weitere Aufklärung der molekularen Funktionen von TBC1D1 im Glukose- und Lipidstoffwechsel wird zweifelsohne einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der individuell unterschiedlichen Adipositas-Suszeptibilität leisten. Entsprechend weiterführende pharmakogenetische Studien könnten überdies bedeutende Wege für die Prävention und Therapie der Adipositas weisen.

Literatur

  • 1 Frayling T M, Timpson N J, Weedon M N et al. A common variant in the FTO gene is associated with body mass index and predisposes to childhood and adult obesity.  Science. 2007;  316 889-894
  • 2 Loos R J, Lindgren C M, Li S et al. Common variants near MC4R are associated with fat mass, weight and risk of obesity.  Nat Genet. 2008;  40 768-775
  • 3 Chadt A, Leicht K, Deshmukh A et al. Tbc1d1 mutation in lean mouse strain confers leanness and protects from diet-induced obesity.  Nat Genet. 2008;  40 1354-1359
  • 4 Sakamoto K, Holman G D. Emerging role for AS160 / TBC1D4 and TBC1D1 in the regulation of GLUT4 traffic.  Am J Physiol Endocrinol Metab. 2008;  295 E29-E37
  • 5 Stone S, Abkevich V, Russell D L et al. TBC1D1 is a candidate for a severe obesity gene and evidence for a gene / gene interaction in obesity predisposition.  Hum Mol Genet. 2006;  15 2709-2720
  • 6 Meyre D, Farge M, Lecoeur C et al. R125W coding variant in TBC1D1 confers risk for familial obesity and contributes to linkage on chromosome 4p14 in the French population.  Hum Mol Genet. 2008;  17 1798-1802

PD Dr. rer. nat. H. Staiger

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