Balint Journal 2009; 10(4): 125-126
DOI: 10.1055/s-0028-1098750
Kongressbericht

© Georg Thieme Verlag Stuttgart ˙ New York

La Musica e giovanni – Musik ist jung

La Musica e giovanni – Music is YoungE. R. Petzold
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Publication Date:
02 December 2009 (online)

Was bedeutet Sozialmedizin und Psychosomatik in einer sich völlig neu und auch elektronisch strukturierenden Zeit?

Wie ist die Bewahrung der Kreativität und Anpassung an die neuen Gegebenheiten in einer sich immer mehr verändernden und vernetzenden Welt möglich?

Bei einem Symposion auf dem Monte verità (19.9. u. 20.9.08) wurde eine starke Antwort gegeben. La Musica e giovanni.

Organisiert hatten das Symposion Dr. Sergio Luban / Locarno und Dr. Rolando Pancaldi / Ascona zusammen mit

der Assoziation Balint Ascona, der Fondazione medicina psicosomatica e sociale Ascona und der Fundación Healing Colombia

Das eindrucksvolle Experiment begann am Vorabend mit einem Konzert im Sala Sopraceneria am großen Palais in Locarno, in einem traditionsreichen Palast, in dem in einer Zeit als Locarno Hauptstadt des Tessins war, das Parlament tagte.

Zur Einstimmung spielten zwei junge Musiker / Zwillingsbrüder Pianoforte e percussioni, also Flügel und Vibraphon – auf einem besonders großen mit Lautverstärkern ausgestatteten Instrument – grandios und begeisternd. Gesteigert wurde diese Einstimmung durch die Armonia interior von Augustino e Paloma Torres, zwei Musiktherapeuten aus Kolumbien. Sie sangen und begleiteten sich gegenseitig mit Guitarre und Querflöte und gaben uns einen ersten Eindruck von ihrer Arbeit in Kolumbien mit jungen Menschen, die durch Gewalt viktimisiert, zutiefst verletzt und nahezu ohne jede Zukunftsperspektive waren. Am folgenden Tage berichteten sie ausführlich über das, was dort vor Ort geschieht, von den körperlich und seelisch schwer verwundeten und traumatisierten Menschen, denen sie mit ihrer Musiktherapie halfen, wieder Licht am Ende eine langen Tunnels zu sehen: A donde vas? Wohin gehst Du? lautet der Titel einer ihrer Songs.

Vor gut einem Jahr schon hatten sie uns über ihr Projekt – einer 10-jährigen Arbeit im Bereich der Musiktherapie mit einer definierten Zielgruppe geschrieben: Wir versuchten herauszufinden, wo der größte Bedarf lag, und bald kristallisierte sich die Gruppe der minderbemittelten Jugendlichen als Zielgruppe heraus. Sie schrieben: Die meisten Organisationen arbeiten mit Kindern oder älteren Menschen, Jugendliche hingegen werden aufgrund ihres Profils, ihren Problemen und ihrem Charakter nur ganz am Rande von privaten oder staatlichen Programmen berücksichtigt.

Die Stiftung für Psychosomatik und Sozialmedizin Ascona unterstützt die beiden Musiktherapeuten bei der Anmietung von Räumen in Bogota für einen umschriebenen Zeitraum. Jetzt hatten wir die Möglichkeit, sie selbst kennen zu lernen und uns trotz der sprachlichen Verständigungsschwierigkeiten von ihrer Seriosität zu überzeugen. Das Projekt sollte unbedingt weitergefördert werden.

Ergänzt wurde dieser Bericht von Augustino und Palermo Torres über ihre praktische Arbeit durch zwei theoretisch sehr fundierte, italienisch sprechende Referenten: Romeo Luciono: Ritmo e suoni nell’ adolescenza; Giacoma Cassano: Il Mito assente – der abwesende Mythos – L’accesso alle emozioni negate tramite un percorso musicoterapeutico und ein auf englisch gehaltene Referat von Frau Dr. Saskia Sydow, einer Musiktherapeutin aus dem früheren Team der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin des UK Aachen über „Bodypercussion in music therapy“ mit Melanie einem 19-jährigen Mädchen mit einer schweren psychotraumatischen Anamnese. Mit einer der Aufmerksamkeit und Wahrnehmung dienenden praktischen Auflockerung erfuhren die Teilnehmer (n = 50) einige Möglichkeiten der Bodyperkussion, über die wir vor einigen Jahren in diesem Journal schon einmal berichtet hatten (B. J. 1 / 2005) Alle Teilnehmer gehen z. B. frei nur der eigenen Befindlichkeit und Stimmung folgend durch den Grenzen setzenden Raum. Sie entdeckten das, was man mit dem eigenen Körper spüren, bewegen und zum Klingen bringen kann und welche Veränderungen z. B. auch in der Intensität sich bei der Begegnung mit anderen ergeben.

Zum Kontext: In einem Memorandum von Dietrich Ritschl und dem Unterzeichnenden vom 20.10.2006 hatten sich die Stiftungsmitglieder einstimmig für die „Zusammenarbeit mit anderen Arbeitskreisen“ ausgesprochen. Dies scheint bei diesem Symposion gut gelungen zu sein. Das Defizit für die nicht italienisch sprechenden Teilnehmer war diesmal ein Preis, den in früheren Jahren sicher viele italienisch sprechende Kolleginnen und Kollegen auf den Tagungen auf dem Monte verità gezahlt haben. „Neue, attraktive Wege“ zu finden, war ein anderes Ziel, das im o. g. Memorandum genannt worden war, um mit möglichst vielen Menschen über die praktische Umsetzung psychosomatischer und sozialmedizinischer Möglichkeiten zu sprechen.

Sehr gut umgesetzt wurde bei diesem Symposion ein weiterer Vorschlag, ein „klar begrenztes Thema“ mit mehreren Impulsreferaten von verschieden Referenten zu demselben Thema anzubieten. Ein ebenfalls im Memorandum vorgeschlagener Weg: „Vermittlung kommunikativer Kompetenz im Studium“ konnte leider nicht mehrt wie in früherer Zeit durch Boris Luban Plozza realisiert werden. Gerne aber erinnern wir bei dieser Gelegenheit an die Ausschreibung des Internationalen Balint Preises für Medizinstudenten und Jungärzte. Mehr Informationen unter www.stiftung-psysozmed.ch oder www.balintgesellschaft.de.

Prof. Dr. med. E. R. Petzold

Goethestraße 5

72127 Kusterdingen

Email: erpetzold@gmx.de

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