psychoneuro 2008; 34(10): 490
DOI: 10.1055/s-0028-1103054
Forum der Industrie

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Substitution durch Generika - In der Depressionstherapie ein Wagnis

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Publication Date:
04 November 2008 (online)

 

Der wirtschaftliche Druck, unter dem niedergelassene Ärzte stehen, macht den Griff zu Generika sehr verführerisch. Doch ob diese in Wirksamkeit und Verträglichkeit vergleichbar sind, ist nicht bekannt. Es existieren lediglich Bioäquivalenzdaten an gesunden Personen. Und hier sind nicht unerhebliche Abweichungen vom Original (80-125 %) erlaubt. Antidepressiva gehören zu den kritischen Arzneimitteln, was die möglichen klinischen Auswirkungen betrifft. Über diesen Themenkomplex sprachen wir mit Prof. Hans-Peter Volz, Schloss Werneck.

? Warum sind die Anforderungen, die Nachahmerpräparate erfüllen müssen, so niedrig angesetzt?

Prof. Hans-Peter Volz: Kostensenkung ist mit Abstand das wichtigste Ziel der Politik. Zu vermuten ist hinter dem geringeren Anforderungsniveau der Wille, möglichst viele Generika zu erhalten, sodass die Preise niedrig bleiben können. Generika müssen anders als Originalpräparate keine schweren Hürden nehmen, um eine Marktzulassung zu erhalten. Deshalb können es sich viele pharmazeutische Hersteller leisten, auf diesen lukrativen Zug mit aufzuspringen, und ein Generikum auf den Markt bringen, sobald ein Patent ausläuft.

? Und die Sicherheit bleibt auf der Strecke?

Volz: Bei der Arzneimittelsicherheit wird mit sehr unterschiedlichen Maßstäben gemessen. Wenn ein neues Medikament in der Phase der klinischen Entwicklung z. B. bei 2 Patienten zu einem deutlichen Anstieg der Leberwerte führt, kann das das baldige Aus für die Innovation bedeuten. Bei Generika, die im gesetzlich erlaubten Schwankungsbereich Bioäquivalenz mit dem Original gezeigt haben, wird einfach vorausgesetzt, dass sie auch ebenso wirksam und verträglich sind. Eine therapeutische Äquivalenz wird praktisch nie belegt.

? Welche Unsicherheiten bestehen bei Generika sonst noch?

Volz: Die Auswirkungen, die gesetzlich erlaubte Schwankungen im einzelnen auf Wirksamkeit oder Verträglichkeit haben, sind nicht abzusehen. Bei generischen Arzneimitteln mit geringer therapeutischer Breite ist es durchaus relevant für die Wirkung, wenn der Plasmaspiegel 20 % niedriger liegt als beim Original. Unklar ist auch der Einfluss von unterschiedlichen Hilfsstoffen. Offen bleibt, ob die an jungen, gesunden Probanden gewonnen Ergebnisse auf Patienten übertragbar sind und wie es mit der inter- und intraindividuellen Variabilität aussieht. Selbst Unterschiede in der Verpackung, im Aussehen oder im Geschmack, könnten zu Verunsicherung insbesondere bei ängstlichen und psychisch kranken Menschen führen.

? Welche Position nehmen Ärzte bei der Abwägung zwischen Original und Generikum ein?

Volz: Viele Ärzte, die sich aus finanziellen Erwägungen zum Einsatz eines Generikums entschließen, sagen zu ihren Patienten: "Das ist das Gleiche, was Sie bisher bekommen haben". Sie sind sich oft nicht bewusst, dass dies keineswegs sicher ist. Der Wechsel geht oft nicht so reibungslos vonstatten, wie dies bei wirklicher Äquivalenz zu erwarten wäre.

? Können Sie dafür Beispiele nennen?

Volz: Es gibt zahlreiche Fallberichte, in denen ein Wechsel zum Generikum zunächst unerklärliche Probleme (Rezidive, Symptomverschlechterung) hervorrief. In der Praxis wird der richtige Zusammenhang aber oft nicht hergestellt. Wenn ein Patient mit Depression 3-4 Monate nach dem Wechsel von einem Original zu einem generischen Antidepressivum einen Rückfall erleidet, wird dieser nur selten mit dem schon längst vergessenen Wechsel in Verbindung gebracht. Eine Zunahme von Nebenwirkungen lässt sich dem Wechsel sehr viel unmittelbarer zuordnen.

? Welche Faktoren können für Unterschiede in der Verträglichkeit verantwortlich gemacht werden?

Volz: Für die Verträglichkeit spielt insbesondere der Zeitverlauf des Plasmaspiegels eine wesentliche Rolle. Retard-Galeniken wurden entwickelt, um den Plasmaspiegel über die Zeit möglichst konstant zu halten. Sie verlängern nicht nur die Wirkung, sondern verbessern auch die Verträglichkeit. Das Antidepressivum Venlafaxin wurde erst wirklich mit einer komplexen Retard-Galenik erfolgreich, mit der Plasmaspitzen vermieden werden konnten.

? In Kürze werden zahlreiche Venlafaxin-Generika auf den Markt drängen. Was kann von ihnen erwartet werden?

Volz: Da die Retard-Galenik von Venlafaxin noch bis 2017 patentgeschützt ist, wird es zunächst kein vergleichbares Generikum geben können. Ein erstes Generikum mit einer unterschiedlichen Retard-Technologie, das in Kanada verfügbar wurde, hat in einer Bioäquivalenzstudie v. a. initial deutlich höhere Plasmaspiegel erzeugt als das Original. Dies war mit einer Häufung u. a. gastrointestinaler Nebeneffekte bei gesunden Probanden verbunden.

? Wie soll der behandelnde Arzt in der Praxis mit dem Problem der Substitution durch Generika umgehen?

Volz: Ich empfehle dem Arzt, sich mehr Informationen über Generika zu verschaffen, insbesondere darüber, wie sich diese Generika in den Bioäquivalenzstudien verhalten haben. Liegen sie mit ihrem Plasmaspiegelverlauf sehr nahe am Originalpräparat oder gibt es große Abweichungen? Doch an diese Originaldaten kommt man leider oftmals nicht heran. Wenn Generika-Hersteller diese Information dem Arzt zur Verfügung stellen würden, wäre dies schon ein wichtiger Anhaltspunkt. Trotzdem bleibt die Unsicherheit, ob diese Daten von gesunden männlichen Probanden auf ältere und kranke Menschen übertragbar sind. Placebokontrollierte Studien an solchen Patienten gibt es eben nur für das Original.

! Herr Professor Volz, herzlichen Dank für das Gespräch.

Dieses Interview ist entstanden mit freundlicher Unterstützung der Wyeth Pharma GmbH, Münster.

Durch das Interview führte die freie Journalistin Dr. Angelika Bischoff, Planegg.

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