Dtsch Med Wochenschr 1955; 80(16): 614-617
DOI: 10.1055/s-0028-1116478
© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Zusammenfassung und kritische Verwertung von Traumstudien

Summary and Critical Evaluation of Studies on DreamingL. R. Müller1 1 Die Schriftleitung veröffentlicht diesen Beitrag aus Anlaß des 85. Geburtstages von Prof. Dr. L. R. Müller am 26. April 1955. Vgl. „Gedenktage” S. 649.
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Publication Date:
04 May 2009 (online)

Zusammenfassung

Meiner Traumstudien komme ich zu der Überzeugung, daß in den verworrenen Traumvorgängen doch zweifellos auch manches Gesetzmäßige festzustellen ist. Da ist vor allem das Zurückgreifen auf die Geschehnisse der ersten Jugend zu erwähnen. Die Ereignisse aus den späteren Jahrzehnten prägen sich lange nicht so tief dem Gedächtnis ein, als daß sich die Träume mit ihnen beschäftigen würden.

Merkwürdig ist das völlige Versagen der zeitlichen Orientierung im Traume. Dadurch werden die eigenartigen Anachronismen verursacht, ein Zeichen dafür, daß die Ordnung im Denken und damit die Vernunft im Traume ausgeschaltet ist. Doch ist zuzugeben, daß im Traume auch manchmal unabhängig von den Überlegungen der Vernunft manch guter Gedanke zustandekommt.

Die Schwankungen der gemütlichen Stimmungen spielen dagegen eine große, ja nachweisbare Rolle und verursachen dadurch dem Träumer neben schweren Bedrückungen und Sorgen auch frohe und glückliche Momente.

Die Art der Träume ist auch abhängig von Gesundheit und Krankheit. In Fieberdelirien und bei gewissen Vergiftungen verlaufen die Traumvorgänge anders als in normalem Zustand.

Auch die psychische Veranlagung des einzelnen Individuums ist maßgebend. Erotisch veranlagte Menschen werden natürlich auch mehr von sinnlichen Träumen heimgesucht werden als solche von kühler, ruhiger, überlegender Art. Ein leidenschaftlicher Mensch wird auch im Traume heftige Erschütterungen erleiden. Daß die Träume des Mannes anders geartet sind als die des Weibes, braucht kaum erwähnt zu werden. Ersterer wird leicht aggressiv werden, während die Frau unter der Duldung von Angriffen auch im Traume ihr Glück finden wird.

Ebenso spielt der Kreis, in welchem man aufwächst und in dem man erzogen wird, eine ausschlaggebende Rolle wie auch der Beruf. Ein Forstmann und Jäger wird von anderen Dingen träumen als ein Pädagoge und ein Politiker. Niemals hat aber der bewußte Wille irgendwelchen Einfluß auf die Traumbildung. Das ist eben die Kunst des Schlafes, daß er den Willen ganz ausschaltet. Meist werden die Träume beschuldigt, dem Schläfer nur unerfreuliche Situationen vorzuspiegeln. Dem kann ich nun durchaus nicht beipflichten. Ich habe wunderschöne und beglückende Träume durch herrliche Eindrücke aus der Natur und aus dem Reich der Kunst erlebt und bin dafür meinem Gehirn, das dies alles ohne mein Zutun hervorgebracht hat, dankbar.

Mystische Einflüsse von außerhalb des Schädels auf das, was in unserm Gehirn beim Traume vorgeht, muß ich auf das bestimmteste ablehnen. Freilich können wir das, was während des Traumes im Gehirn sich abspielt, nicht ahnen, geschweige denn beurteilen.

Der Traum ist eine selbständige Leistung des Gehirns, er wird nicht durch den bewußten Willen und durch die Vernunft des Schlafenden ausgelöst.

Die Zahl der Träume ist sehr groß, läßt sich aber nicht berechnen, da sie vom Unbewußten her beeinflußt wird.

Das Träumen ist keine Fähigkeit, die sich auf den Menschen beschränkt. So ließ sich an schlafenden domestizierten Tieren beobachten, daß sich auch in ihnen Traumvorgänge abspielen.

Zum Schluß meiner Ausführungen muß ich gestehen, daß mich das Studium der Träume lebhaft angeregt und erfreut hat. Und mit diesem Bekenntnis möchte ich meine letzte Arbeit über die Träume abschließen.

Resumen

Resumen y valoración crítica de los estudios sobre los sueños

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