Dtsch Med Wochenschr 1951; 76(11): 325-329
DOI: 10.1055/s-0028-1116658
Klinik und Forschung

© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Anatomisch-pathologische Befunde zur Frage psycho-somatischer Beziehungen1

Berthold Ostertag
  • Hirnpathologischen Abteilung (Prof. Dr. med. B. Ostertag) an der Universitätsnervenklinik Tübingen (Prof. Dr. Dr. h. c. E. Kretschmer)
1 Herrn Prof. Dr. med. Hans G. Creutzfeldt zur Vollendung seines 65. Lebensjahres gewidmet.
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Publication Date:
05 May 2009 (online)

Zusammenfassung

Zu dem Problem, daß einwandfrei psychisches Geschehen, wie zum Beispiel starke seelische Belastung, zu anatomischen Veränderungen an Körperorganen oder Organsystemen führen kann, andererseits aber nicht selten ein greifbarer anatomischer Befund in den vegetativen Zentren erst eine abwegige Reaktion auf psychisches Geschehen ermöglicht, werden Beispiele gebracht. Im Längsablauf von Kraniopharyngeomen z. B. treten häufig als abwegige psychische Reaktionen gedeutete Zustandsbilder schwerer Art zur Zeit der Pubertät (in der diese Gewächse zu wachsen pflegen) auf, die nach Anpassung zwar verschwinden, aber gelegentlich organische Veränderungen hinterlassen, bis nach ein bis zwei Jahrzehnten das Tumorsyndrom Klarheit schafft.

Die oft auf frühkindliche Schäden (Meningitis, superinfizierte Geburtsblutungen oder dgl.) zurückzuführende „puberale Dystrophie” Kretschmers gibt hierfür weitere Beispiele. Ebenso Patienten, die nach anfänglich normaler Entwicklung ein von ausgezeichneten Klinikern als psychogen aufgefaßtes Krankheitsbild mit Zwischenhirnanfällen, Störungen des Wasserhaushaltes, Hypertonie usw. boten und nach stärkerer Erregung überraschend an Atemlähmung, Hyperthermie oder Hypoglykämie starben. Hier fanden sich ebenfalls anatomische Befunde.

Zentrale Schmerzen, hervorgerufen durch Tuberkel oder Metastasen im Thalamus waren psycho-therapeutisch zeitweilig mit Erfolg angegangen worden, bis bei Weitergreifen des Herdes oder infolge Hirnschwellung der Tod eintrat. Auf Grund des Tatsachenmaterials wird vor einem zu starken Psychologismus besonders bei den im Bereich der vegetativ psych. Korrelationen ablaufenden Erkrankungen gewarnt. Der „Gestaltkreis” von Weizäckers umfaßt Psychisches und Körperliches. Der anatomisch nachweisbare Befund kann nicht nur (wie die Gefäßveränderungen bei der Hypertonie) am Schluß, sondern auch am Beginn eines vorwiegend mit subjektiver Betonung verlaufenden Krankheitsbildes stehen (Ostertag-Diezel).

Des weiteren wird die Bedeutung der frühkindlichen Affektion des basalen Zisternengebietes gestreift und deren Folgeerscheinungen erörtert. Sie können nicht nur Einfluß auf die psycho-physische Entwicklung des Menschen gewinnen, sondern auch, falls erkennbar, einen Gegengrund für die moderne psychiatrische Therapie bilden.

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