Dtsch Med Wochenschr 1950; 75(1): 11-15
DOI: 10.1055/s-0028-1117777
Klinik und Forschung

© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Über den Bindungsunterschied lebergängiger und nierengängiger Substanzen an die Serumeiweißkörper

Hermann Bennhold, Hans Ott, Marianne Wiech
  • Medizinischen Universitätsklinik Tübingen (Direktor: Prof. Dr. H. Bennhold)
Further Information

Publication History

Publication Date:
06 May 2009 (online)

Zusammenfassung

Am Beispiel der beiden Ausscheidungsorgane Leber und Niere wird folgendes gezeigt: Stoffe, welche durch die Leber ausgeschieden werden sollen (Bromsulphalein, Azorubin, Bromphenolblau, Jodtetragnost, Biliselektan), haften in deutlich anderer Bindung an den Albuminen des Serums als Stoffe, die durch die Niere ausgeschieden werden sollen (Phenolrot, Indigokarmin, Uroselektan B, Uroselektan, Perabrodil). Die lebergängigen Stoffe zeigen in den „physiologischen” Konzentrationen „quantitative” Bindung an die Albumine (ganz allgemein eine starke Bindung niederer Dissoziationskonstante), wogegen die nierengängigen eine lockere Bindung hoher Dissoziationskonstante aufweisen, welche stets des deutlich nachweisbaren Gegengewichts freier dissoziierter Ionen bedarf. Es wird angenommen, daß diese verschiedenartige Bindung an die Albuminteilchen für den „gezielten Transport” zur Leber oder Niere von grundlegender Bedeutung ist.

Das durch die Nieren ausgeschiedene Collidon bewirkt deshalb ein Umdirigieren lebergängiger Farbstoffe (Schubert), weil es die bestehende Albuminbindung löst und den Farbstoff an sich fesselt. Da nicht anzunehmen ist, daß direkt nach der Collidoninjektion Leberzellschädigungen eine Rolle spielen können, sehen wir in der Umdirigierung der Farbstoffausscheidung von der Leber auf die Niere einen reinen Vehikelvorgang. Collidonteilchen wirken sich als Fremdvehikel aus und zeigen hier — völlig unabhängig von zellulären Veränderungen — den Einfluß eines fremden Vehikelapparates auf Transportvorgänge.

Nach Fertigstellung dieser Arbeit kam uns die Abhandlung von Avram Goldstein aus dem Pharmakologischen Institut der Harvard-Universität Boston, The interactions of drugs and plasma proteins aus J. Pharmacol. a. Exp. Ther. Part. II 95 (1949), 4: 102 zur Kenntnis. Der Autor glaubt, jede spezielle Theorie über das Transportgeschehen im Organismus zugunsten des einzigen Mechanismus der Dissoziation aufgeben zu können. Weil es jedoch eine so unentwirrbare Vielfalt physikalisch-chemischer Vorgänge gibt, die, einzeln betrachtet, streng dem Massenwirkungsgesetz gehorchen mögen, zusammen aber den biologischen Vorgang des sinnvollen und gerichteten Transportes darstellen, erscheint uns der Begriff der Vehikelfunktion fruchtbar. Die Vehikel bewirken die Entstehung von Orten erhöhter und „geschützter” Konzentration im zirkulierenden Plasma unabhängig davon, ob es sich um reversible oder irreversible Bindungen handelt und ob ihre Reichweite bis in die Zelle hineingeht oder nicht. Der Ausgleich dieser Konzentration (das „Abladen”, „Abhängen”) ist nur an bestimmten Orten im Organismus unter den dort herrschenden bestimmten Bedingungen möglich. Dieses sehr komplexe Geschehen näher physikalisch-chemisch aufzuklären sind die gemeinsamen Bemühungen aller an diesem Arbeitsgebiet interessierten Wissenschaftler. Des näheren soll in einer späteren Darstellung auf die sehr interessanten und wichtigen Ausführungen A. Goldsteins eingegangen werden.

    >