Zeitschrift für Phytotherapie 2008; 29(6): 259
DOI: 10.1055/s-0028-1119427
Editorial
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Alkohol in Kinderarzneimitteln – der Versuch einer kritischen Bewertung

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Publication Date:
12 January 2009 (online)

Immer wieder einmal wird sowohl von Verbrauchern als auch in Fachkreisen diskutiert, dass alkoholhaltige Arzneimittel für Kinder eventuell ein Risiko darstellen. Da flüssige pflanzliche Zubereitungen vorwiegend mit Ethanol oder Ethanol-Wasser-Mischungen hergestellt werden, sind in besonderem Maße Phytopharmaka von diesen Bedenken betroffen. Für diese Herstellungspraxis pflanzlicher Zubereitungen spricht, dass mit Ethanol-Wasser-Mischungen ein breites Spektrum hydrophiler und lipophiler Inhaltsstoffe extrahiert wird und dass solche Extrakte in jedem Verhältnis mit Wasser mischbar sind. Bei der Diskussion um Alkohol in Kinderarzneimitteln wird allerdings keine neutrale Bewertung vorgenommen, meist steht von vorneherein fest, dass Alkohol für Kinder in jedem Fall und in jeder Menge ein Risiko darstellt.

Fraglos ist der Konsum alkoholischer Getränke durch Kinder nicht zu vertreten und sind die Presseberichte über eine zunehmende Zahl an Alkoholintoxikationen bei älteren Kindern erschreckend. Aber darf man das Risiko alkoholhaltiger Arzneimittel wirklich daran messen? Eine sachliche Betrachtung scheint erforderlich, wobei folgende Fragen zu beantworten sind: Gibt es Alkoholmengen, deren Aufnahme für Kinder ohne Risiko ist? Welche Alkoholmengen werden mit pflanzlichen Arzneimitteln aufgenommen? Sind Kinder besonders empfindlich gegenüber Alkohol?

Die Arbeitsgemeinschaft Wirksamkeit/Unbedenklichkeit der Kooperation Phytopharmaka hat eine solche Bewertung kürzlich publiziert (Pharm Ind 2008; 70: 1124–1127), die Ergebnisse sollen hier kurz zusammengefasst werden. Tatsächlich werden mit pflanzlichen Arzneimitteln sehr geringe maximale Blutalkohol-Konzentrationen erreicht, z.B. 0,008 bei Einnahme eines Phytopharmakons mit 12% Ethanol durch ein 6- bis 12-jähriges Kind, 0,015 durch ein Phytopharmakon mit 30% Ethanolgehalt. Diese Ethanolmenge wird innerhalb von Minuten oder sogar Sekunden eliminiert, zumal Ethanol bei Kindern etwa doppelt so schnell metabolisiert wird wie bei Erwachsenen.

Im Übrigen ist zu bedenken, dass Kinder Alkohol nicht nur durch pflanzliche Arzneimittel aufnehmen. So enthält Apfelsaft z.B. 0,4% Alkohol, Roggenbrot 0,3%, reife Bananen 0,3%. Da von diesen Lebensmitteln sehr viel größere Mengen aufgenommen werden als von pflanzlichen Arzneimitteln, ist die zusätzliche Alkoholaufnahme durch letztere zu vernachlässigen.

Wie stets ist auch hier bei einer Risikobewertung die Dosis hinzuzuziehen und die liegt bei Phytopharmaka eben ganz wesentlich niedriger als die Alkoholzufuhr durch eine Reihe von Lebensmitteln, die Kinder ohne Bedenken erhalten. Eine zufällige Intoxikation durch das Trinken einer größeren Menge eines pflanzlichen Arzneimittels scheint sehr unwahrscheinlich wegen der Verwendung von kindersicheren Verschlüssen und Tropfverschlüssen. Außerdem ist der Geschmack der unverdünnten Zubereitungen für Kinder unattraktiv und verleitet nicht zum Trinken größerer Mengen.

Insgesamt ist also eine Umstellung pflanzlicher Arzneimittel auf ethanolfreie Zubereitungen nicht erforderlich oder sinnvoll.

Hilke Winterhoff

AG Wirksamkeit der Kooperation Phytopharmaka

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