Zusammenfassung
1. Die Grippe nimmt ihren Ausgang höchstwahrscheinlich von den sog. gesunden Bazillenträgern (Pfeiffer-Influenzabazillen), wie andere Seuchen auch. Diese Träger erleiden durch
Erkältungen leicht Rezidive ihres meist chronischen Katarrhs, wobei eine Virulenzerhöhung
eintritt.
2. Die Infektion mit Influenza vera geschieht in der Hauptsache wohl gleichzeitig mit Pfeiffer-Bazillen und hämolytischen Streptokokken im gleichen eingeatmeten Tröpfchen.
3. Die Ausbreitung der Infektion auf das Lungenparenchym erfolgt aspiratorisch, lymphatisch (Hilusdrüsen und regionale Lymphdrüsen) und vielleicht
auch bakteriämisch.
4. Die Pfeiffer-Bazillen müssen dabei als „Wegbereiter” hämolytischen Streptokokken usw. betrachtet werden (Wätjen). Ihre Wirkung äußert sich vor allem an den Kapillaren,
die durch die Toxine gelähmt und permeabel werden (Ödeme!).
5. In die toxischen oder auch transsudativen Ödeme wachsen alle Bakterien hinein,
die dort vorhanden sind, vor allem wieder Pfeiffer-Bazillen und hämolytische Streptokokken.
6. Diese toxische Kapillarwirkung ist durch die ererbte Konstitution (reizbare Konstitution K. Klares) und durch erworbene Überempfindlichkeit (A. Lauche) individuell verschieden. Die Überempfindlichkeit ist in der Hauptsache wohl unspezifisch, also nicht bloß auf die Erreger eingestellt. Frühere Infekte und davon zurückgebliebene
Narben- und Schwartenbildungen sind als gefährliche Dispositionsherde mit höchst labilen
Gefäßen aufzufassen.
7. Diese Lungenherdbildungen sind durchaus nicht immer bekannt, da von früheren Grippeattacken Narben atypisch
leichter Pneumonien zurückgeblieben sein können. Solche unbekannten Herde oder Narben
sind häufiger, als bisher angenommen wurde (Fr. Kellner).
8. Wenn ein neuer Infekt bei Disponierten erfolgt ist, kann vielleicht noch völlige körperliche und seelische Ruhe Komplikationen verhüten. Dazu gehört naturgemäß auch die Vermeidung aller kongestionierenden
Genußmittel und Verrichtungen. Jede Form von Narkose, besonders aber Äthernarkose,
erhöht die Ödembereitschaft der Lunge.
9. Grippedisponierten ist größte Zurückhaltung im Verkehr mit hustenden Menschen, möglichste Selbstisolierung während der Grippeperiode
dringend anzuempfehlen. Das gilt erst recht für den Erkälteten selbst, der sich vor
allem sorgfältigster Hustenhygiene befleißigen sollte. Vorhalten der Baust vor den
Mund beim Husten ist selbstverständlich völlig ungenügend. Der Schutz eines Taschentuchs
und Hinlenkung des Streukegels zum Fußboden sind unerläßlich, um Infektionen zu vermeiden.
10. Es sollte nie vergessen werden, daß die Erfassung und Isolierung der ersten Erkältungsfälle zu Beginn der kalten Jahreszeit
die Voraussetzung zu einer wirksamen Bekämpfung der Grippe darstellt, namentlich, wenn ein bakteriologischer Befund von Pfeiffer-Bazillen mit hämolytischen
Streptokokken und Pneumokokken während der ersten Tage der Erkrankung vorliegt.
11. Inwieweit eine Chininprophylaxe von Erfolg ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Ich halte aber eine baldige Entscheidung
in dieser wichtigen Frage für dringend nötig.
12. Die Herstellung und Verwendung von spezifischen Vakzinen und Immunseren als Grippeschutzmittel
ist meines Erachtens zur Zeit noch aussichtslos.