Dtsch Med Wochenschr 1931; 57(47): 1971-1974
DOI: 10.1055/s-0028-1124835
© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Kreislaufdynamische Untersuchungen an Herzinsuffizienten1)

Winfried Graßmann 1) Vortrag im Lehrgang „Ueber Krankheitsanfänge bei chronischen Leiden” im Speyerershof bei Heidelberg, 1.—3. VIII. 1931.
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Publication Date:
06 May 2009 (online)

Zusammenfassung

Zwischen dem von vornherein normalen M.V. des Gesunden und dem sicher stark erniedrigten M.V. der schweren Kreislaufinsuffizienz, liegt ein Gebiet, in dem das Herz mit einem etwas erniedrigten M.V. arbeitet. Er paßt sich damit wohl an die irgendwie erschwerten oder ungünstigen Kreislaufverhältnisse in seiner Leistung an. Dieses an sich etwas niedrige M.V. wird dann aber vom Körper mit großer Zähigkeit festgehalten, bis weit in den Zustand der klinischen Dekompensation hinein. Die verminderte Durchströmung der Peripherie wird durch eine vermehrte Ausnützung des Blutes in der Peripherie ausgeglichen, man findet daher bei sehr vielen chronisch Kreislaufkranken ein übernormal hohe arteriovenöse Differenz. Erst beim Eintritt der schweren Insuffizienz stürzt das M.V. zu wirklich niedrigen Werten ab.

Zeigt also bei vielen Kreislaufkranken das M.V., das wohl etwas niedrig ist, eine auffallende Konstanz und bildet damit keinen sicheren Indikator für die Entwicklung einer leichten Insuffizienz, so verhält sich das Schlagvolumen anders. Es ist sicher richtig, wenn Kroetz wiederholt darauf hinweist, daß das Schlagvolumen für den Zustand des Kreislaufs charakteristischer ist als das M.V. Das allmähliche Ansteigen der Pulsfrequenz beim Eintritt der Insuffizienz zusammen mit dem an sich niedrigen, vielleicht auch noch etwas absinkenden M.V. führt eben zu einem deutlichen und unverkennbaren Kleinerwerden des Schlagvolumens. Das Herz bewältigt dann wohl noch die gleiche Menge, die Peripherie wird noch in gleicher Weise versorgt, das Herz arbeitet aber unökonomischer und ist weniger zu erhöhten Arbeitsleistungen befähigt, weil es schon in der Ruhe von der Reserve einer erhöhten Pulsfrequenz Gebrauch macht und ihm die zweite Reserve, die Erhöhung des Einzelschlagvolumens nicht ausreichend zur Verfügung steht.

Es dürfte praktisch schwer und selten durchführbar sein, die allmähliche Entwicklung einer leichten Insuffizienz genau zu verfolgen. Dagegen kann man den rückläufigen Vorgang, das Wiedereinsetzen der Kompensation, oft beobachten. Dabei sieht man, daß sich in dem allmählichen Ansteigen des Schlagvolumens die klinische Besserung gut widerspiegelt, während sich das M.V. gar nicht zu ändern braucht, und auch nach völliger klinischer Besserung noch etwas unternormal bleiben kann. Von Kroetz wurde sogar beim Eintritt der Kompensation ein geringes Absinken des M.V. gefunden, dabei kam es wegen des Langsamerwerdens des Pulses trotzdem zu einem deutlichen Ansteigen des Schlagvolumens.

Die Bedeutung des M.V. beim Beginn einer Insuffizienz würde wohl noch schärfer hervortreten, wenn wir die zirkulierende Blutmenge gleichzeitig ebenso zuverlässig bestimmen könnten. Leider sind wir hier methodisch noch nicht so weit. Es ist aber heute sehr wahrscheinlich, daß die Blutmenge bei den meisten beginnenden Insuffizienzen vermehrt ist, sodaß die Strömungsgeschwindigkeit in der Peripherie tatsächlich mehr verlangsamt ist, als man aus der geringen Erniedrigung des M.V. schließen kann.

Die Feststellung des M.V. in der Ruhe führt also für das Verständnis einer beginnenden Kreislaufinsuffizienz zu nicht ganz befriedigenden Ergebnissen. Es ist dies auch nicht erstaunlich. Die leichte Insuffizienz ist eben gerade dadurch charakterisiert, daß sie in der Ruhe noch kompensiert ist, d. h. daß die Blutversorgung der Peripherie in der Ruhe dem Stoffbedarf entspricht. Ist die Kreislaufgeschwindigkeit etwas vermindert, so wird, wie gesagt, dieses geringe Minus durch ein kleines Plus der peripheren Ausnützung ausgeglichen. Es war zu erwarten, daß sich bei Arbeitsbelastungen auch schon die beginnende Insuffizienz deutlicher vom ganz normalen abheben würde als in der Ruhe. Untersuchungen über die Arbeitsbelastung liegen vor von Kroetz und aus letzter Zeit von Bansi und Groscurth[4)].

Während Kroetz bei Arbeitsbelastung Herzkranker nicht zu ganz einheitlichen Ergebnissen kam, haben Bansi und Groscurth bestimmte, für den organisch Kreislaufkranken charakteristische Veränderungen der „Arbeitskurve” beobachtet. Es zeigte sich ihnen nämlich, daß es nicht allein auf die Untersuchung der Kreislaufgeschwindigkeit während der Arbeit ankommt, sondern daß man ein richtiges Bild der Kreislaufstörung erst bekommt, wenn man auch nach der Arbeit die Messung des M.V. fortsetzt. Der Anstieg des M.V. während der Arbeit ist bei Dekompensierten deutlich kleiner als beim Gesunden. Vor allem bei der hochgradigen Mitralstenose fanden die Autoren, daß das M.V. während der Arbeit überhaupt nicht mehr in die Höhe geht.

Aber nicht nur der dekompensierte Herzkranke, der sein Minuten- und Schlagvolumen während einer Arbeit nur wenig oder gar nicht erhöhen kann, sondern auch der vollkompensierte Herzkranke bietet bei Arbeitsbelastung ein wesentlich von der Norm abweichendes Verhalten. Man findet alle Uebergänge der M.V.-Kurve vom dekompensierten Herzkranken zum völlig kompensierten. Der völlig kompensierte zeigt zwar während der Arbeit kein vom normalen wesentlich abweichendes Bild, dagegen ist der Abfall nach der Arbeit bei ihm sehr charakteristisch. Während nämlich beim Gesunden nach Abschluß der Arbeit die Kreislaufgeschwindigkeit gegenüber dem Arbeitswert sehr schnell absinkt, findet sich beim kompensierten Klappenfehlerkranken nach der Arbeit zunächst nur ein ganz geringer Abfall, manchmal steigt sie sogar noch etwas an. Beim kompensierten Herzkranken wird also, ganz abgesehen von der durch den Klappenfehler bedingten mechanischen Mehrbeanspruchung, der Herzmuskel auch dadurch übermäßig belastet, daß das M.V. nach der Arbeit verzögert zur Norm zurückkehrt.

Dieses unzweckmäßige Verhalten nach der Arbeit wurde besonders bei der Mitralinsuffizienz beobachtet, während die Aortenklappenfehler weniger von der Norm abwichen. Die Autoren glauben, daß diese verzögerte Rückkehr des M.V. ein Verhalten ist, das nur bei Herzklappenfehlern und Myokardschäden vorkommt. Bei Hypertonikern, die keine Zeichen einer Dekompensation zeigen, kommt es dagegen zu einem normalen Anstieg während der Arbeit und auch der Abfall vollzieht sich ohne überschießende Reaktion. Kommt es dagegen zur Dekompensation, so geht auch hier die Kurve in eine typische flache, lang hingezogene Dekompensationskurve über.

Zum Schluß möchte ich noch kurz auf den Digitaliseffekt einerseits beim Herzinsuffizienten, anderseits beim Gesunden zu sprechen kommen. Wir wissen, daß das subjektive Ansprechen auf Strophanthin eines der feinsten Anzeichen für eine bestehende Insuffizienz ist. Die subjektive Erleichterung nach einer Strophanthininjektion tritt bei Insuffizienten meist gleich oder nach einigen Minuten ein. Man konnte mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen, daß dieser subjektiven Erleichterung des Insuffizienten tatsächlich irgendeine Veränderung des Kreislaufes entspricht, während es beim völlig Gesunden, der diese Erleichterung nicht spürt, zu keiner solchen Aenderung kommt. Wir haben versucht, diese Aenderung des Kreislaufes zahlenmäßig zu erfassen. Es war nötig, dabei eine Methode anzuwenden, die die Größe des M.V. in rascher Folge zu bestimmen erlaubt. Dafür kommt nur die physikalische Methode nach Broemser und Ranke in Frage. Diese Methode ist zwar gegenwärtig für die Klinik noch nicht geeignet, um damit zu absolut richtigen Werten des Minuten- und Schlagvolumens zu kommen, dagegen gibt sie rasche Veränderungen des Kreislaufes sicher qualitativ richtig und quantitativ wenigstens in genügender Annäherung, zuverlässig wieder. Wir gingen so vor, daß wir bei Patienten, die noch deutlich insuffizient waren und bei denen wir eine Strophanthinwirkung erwarteten, bei absoluter körperlicher Ruhe zunächst das Schlagvolumen einige Male bestimmten. Darauf wurde eine therapeutische Strophanthindosis injiziert und dann fortlaufend, in Abständen von 2—5 Minuten, ungefähr œ Stunde lang, das Schlagvolumen, zugleich natürlich Blutdruck und Pulsfrequenz gemessen. Den gleichen Versuch machten wir bei völlig Kreislaufgesunden.

Die Ergebnisse, die wir bei leichten und schweren Insuffizienten einerseits, bei völlig Kreislaufgesunden anderseits fanden, waren ganz einheitlich und eindeutig: beim Insuffizienten kam es regelmäßig zu einem Ansteigen des Minuten- und besonders des Schlagvolumens einige Minuten nach der Injektion, beim Kreislaufgesunden fehlte jede sichtbare Wirkung.

1 4) H. W. Bansi und G. Grosenrth, D. m. W. 1931 S. 1276.

1 4) H. W. Bansi und G. Grosenrth, D. m. W. 1931 S. 1276.

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