Zusammenfassung
Bei drei in 2 verschiedenen Hutfabriken beschäftigten Arbeitern kommt es beim Arbeiten
mit Zaponlack nach relativ sehr kurzer Zeit, abgesehen von den schon bekannten Reizerscheinungen
an den Schleimhäuten zu einer Leberschädigung, die aber, da die Erkrankten sich wegen
anderer Erscheinungen frühzeitig in ärztliche Behandlung begeben, ausheilt. Welche
Ursache hat nun diese Schädigung hervorgerufen?
Das Amylazetat, dessen Vorhandensein schon durch seinen starken Geruch, der alles
andere überdeckt, erkannt wird, kommt nicht dafür in Frage. Ebensowenig das Azeton;
auch vom Buthyl- und Aethylazetat sind lediglich Schleimhautreizungen bekannt (siehe
Beintker, Ueberempfindlichkeit gegen Aethylazetat, D. m. M. 1928 Nr. 13). Es kamen
Benzol und seine Homologe, und die gechlorten Kohlenwasserstoffe vor allem in Betracht.
Die Untersuchung der verwendeten Flüssigkeit erbrachte das Vorhandensein von Tetrachloräthan.
Tetrachloräthan, C2H2Cl4, eine farblose Flüssigkeit von süßlichem Geruch, ist als schweres Lebergift bekannt.
Es besitzt eine 7mal stärkere Giftigkeit als das Chloroform und hat innerhalb seiner
Reihe eine besonders starke Affinität zu den Lipoiden. Tierversuche haben bei der
Sektion ergeben; starke Gewichtsabnahme, Ikterus und Albuminurie als Begleiterscheinungen
umfangreicher Organverfettungen und Hämoglobinurie (Versuche von Heffter und Joachimoglu).
Eingeatmete Dämpfe erzeugen, nach Koelschs Mitteilungen, beim Menschen zunächst Kopfschmerzen,
Uebelkeit, Magenverstimmung, Parästhesien und Reizung der Schleimhäute der Atmungswege;
später kommen dazu Druckempfindlichkeit der Lebergegend, Ikterus, Leberatrophie, peripherische
Lähmung und Blutarmut. Die erste größere Serie von Erkrankungen durch Tetrachloräthan
ereignete sich in der Flugzeugindustrie (Vierteljahrsschrift für gerichtliche Medizin,
3. Folge, 1914, 48 S. 109). Damals erkrankten von 15 Lackierern in einem Betriebe
12, von denen 2 starben. Bei fast allen Erkrankten stand die Gelbsucht und Leberschwellung
im Vordergrund.
Koelsch hat dann eine gleiche Serie von Erkrankungen durch Tetrachloräthan in der
M. m. W. 1915 Nr. 46 mitgeteilt, wo in einer bayerischen Flugzeugfabrik 9 Arbeiter
mit Leberschwellung bzw. Ikterus erkrankten und einer davon (19 Jahre alt) an akuter
gelber Leberatrophie starb.
In einer Arbeit im Zbl. Gewerbehyg. 1916 hat Koelsch auf die Frage der besonderen
Disposition hingewiesen: Alkoholschädigung, vorhergegangene Magendarmstörungen mit
Ikterus catarrhalis, schwächende Blutverluste und Fettsucht mit Anhäufung von Fett
in der Leber können bei den damit behafteten Menschen nach sehr kurzer Beschäftigungsdauer
mit Tetrachloräthan zu einer ernstlichen Lebererkrankung mit eventuellem Ausgang in
akute gelbe Leberatrophie führen.
Clermont und Rivière haben in der Revue de Chimie industr. im Jahre 1913 mehrere Todesfälle
nach Tetrachloräthan bei Alkoholisten beschrieben.
Der Frage der Prophylaxe kommt daher bei der Schwere der Erkrankungen die größte Wichtigkeit
zu. Dabei ist allerdings die sehr schwankende Zusammensetzung der Zaponlacke äußerst
hinderlich.
Einmal müssen Blutarme, Fettleibige, Leberkranke, Alkoholiker, Frauen und Jugendliche
unter den Beschäftigten ausgeschlossen werden, anderseits ist eine gute Ventilation
nach unten (spezifisches Gewicht des Tetrachloräthans 1,60) Bedingung. Aber darüber
hinaus sollte der Gebrauch von Tetrachloräthan sehr eingeschränkt bzw. in den Verwendungsmitteln
diesem Stoff nur ein bestimmter prozentualer Anteil eingeräumt werden. Schließlich
ist auch für die Zaponlackverwendung eine vermehrte gewerbeärztliche Ueberwachung
zu fordern.