Zusammenfassung
Rückenschmerzen sind nach wie vor eine große medizinische und gesundheitspolitische
Herausforderung. Das Hauptproblem besteht darin, dass ein Teil der Patienten chronische
Beschwerden entwickelt und diese Gruppe enorm hohe Kosten verursacht. Der Übergang
vom akuten zum chronischen Rückenschmerz kann dabei am besten durch psychosoziale
Faktoren vorhergesagt werden; aufgrund ihrer Bedeutung sollten sie bereits in der
Frühphase der Krankheitsentstehung erfasst und berücksichtigt werden. Nach dem Ausschluß
ernsthafter Ursachen stehen die Motivierung zu körperlicher Aktivität und die Information
über die harmlose Natur der Beschwerden im Mittelpunkt der Behandlung. Bei chronischen
Schmerzen kann nur eine multiprofessionelle Diagnostik und Therapie – möglichst orientiert
am Konzept der Functional Restoration zum Ziel führen.
Abstract
Low back pain is a burden in health policy and medical care. One of the main problems
in that field comes from the fact that a minor part of all patients developchronic
pain; those claiming for the main part of all costs. The transition from acute to
chronic pain is dominated by psychological factors and there is a strong need to identify
them at a very early stage of the illness. Concerning diagnostic procedures it is
at first necessary to eliminate red flags. Afterwards, treatment is dominated by motivating
the patients to intensify their daily activities and to inform them about the harmless
nature of non–specific back pain. In case of chronic pain syndromes there is a strong
need for interdisciplinary procedures in diagnosis and multiprofessional treatment.
Multimodal treatment should be modelled on the concept of functional restoration.
Schlüsselwörter
Rückenschmerzen - Chronifizierung - psychosoziale Mechanismen - diagnostische und
therapeutische Konsequenzen
Key words
Low back pain - chronification process - psychologic mechanisms - implications in
diagnosis and therapy
Kernaussagen
-
Rückenschmerzen zählen zu den häufigsten und teuersten körperlichen Beschwerden in
allen industrialisierten Ländern.
-
Von einer Chronizität sind nur ca. 10 % der Patienten betroffen.
-
Bei > 85 % der Betroffenen besteht keine eindeutige Beziehung der Schmerzen zu
einer definierbaren körperlichen Pathologie.
-
In der Frühphase müssen bedrohliche Erkrankungen (Red Flags) wie Cauda–Syndrom, Entzündungen,
Tumoren sowie andere spezifische Prozesse (radikuläre Schmerzen durch Bandscheibenvorfälle
usw.) ausgeschlossen werden.
-
Psychosoziale Mechanismen, insbesondere Kognitionen und Verhalten, spielen für die
Chronifizierung eine große Rolle.
-
Psychischer Disstress (u. a. Depressivität), schmerzbezogene Angst und die Vermeidung
normaler (körperlicher) Aktivitäten sind wesentliche Voraussetzungen für die Chronifizierung
von Rückenschmerzen.
-
Bei bereits länger anhaltenden Rückenschmerzen steht eine ausführlichere Analyse
und der Ausschluss von psychosozialen Chronifizierungsfaktoren im Vordergrund.
-
Wissensvermittlung und Verhaltensberatung sind die wichtigsten therapeutischen Interventionen.
-
Monomodale Behandlungen sind bei chronischen Rückenschmerzen meist nicht mehr indiziert.
Hier braucht es multimodale, interdisziplinär ausgerichtete Behandlungsprogramme,
die am Konzept der Functional Restoration ausgerichtet sind.
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Prof. Dipl.–Psych. Dr. Michael Pfingsten
Email: michael.pfingsten@med.uni-goettingen.de