Dtsch Med Wochenschr 1911; 37(36): 1635-1637
DOI: 10.1055/s-0028-1130915
© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

1. Zur diagnostischen und prognostischen Bedeutung der Pirquetschen Reaktion. 2. Die Tuberkulintherapie bei chirurgischer Tuberkulose

 Wilms
  • Aus der Chirurgischen Klinik der Universität in Heidelberg
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Publication Date:
22 June 2009 (online)

Zusammenfassung

1. Die fungösen Formen der Tuberkulose zeigen in der Regel negative Pirquetsche Reaktion, eine Tatsache, die diagnostisch und prognostisch von wesentlicher Bedeutung ist; darin liegt ein Hinweis darauf, daß die positive Reaktion eher in diagnostischer und prognostischer Beziehung zu verwerten ist als die negative und daß nur bei exsudativer, d. h. fistulöser oder abszedierender Tuberkulose, die negative Reaktion einen kachektischen Zustand andeutet.

2. Die Tuberkulintherapie ist für die Fälle von Tuberkulose, die schon an sich stark positiven Pirquet zeigen, für den Heilungsverlauf nicht wesentlich, dagegen für die mit schwacher Reaktion und besonders für die Formen von fungöser Tuberkulose mit negativem Pirquet ist sie ein stark die Heilungstendenz des Organismus unterstützendes Mittel. Die geringe Reaktion bei solchen Fällen gestattet, schnell mit der Dose zu steigen.

3. Die besten Erfolge bei der Tuberkulose bietet eine kombinierte Behandlung (Tuberkulin, Röntgentherapie, unter obigen Gesichtspunkten), bei der natürlich die bekannten, hier nicht näher auszuführenden Einwirkungen durch Sonnenbäder, Aufenthalt an der See und im Gebirge, diätetische Maßnahmen unterstützend mitarbeiten. Ich bin überzeugt, daß im Gegensatz zur heute noch üblichen chirurgischen Therapie die konservative Behandlung der Tuberkulose von Jahr zu Jahr noch an Boden gewinnen wird.

4. Unsere Aufgabe, um das noch einmal hervorzuheben, besteht nicht allein darin, einen tuberkulösen Herd durch Operation unschädlich zu machen, sondern wir müssen zugleich die Widerstandskraft gegen die tuberkulöse Reinfektion des Körpers erhöhen. Ich halte es für sicher, daß ein Patient, dessen Lymphome durch die angeführte konservative Behandlung zum Verschwinden gebracht werden, besser daran ist als ein anderes Individuum, dem die Lymphome frühzeitig exstirpiert werden. Im ersteren Falle hat sich der Körper während des Kampfes mit der Drüsentuberkulose gekräftigt und ist gegen doch nicht zu vermeidende Neuinfektionen widerstandsfähig geworden, im zweiten Fall bleibt der Körper, wenn nicht Tuberkulinkur helfend einspringt, gleich empfänglich gegen die Infektion, und Rezidive sind die Folge. Vielleicht ist sogar eine Weiterverbreitung der Bazillen im Organismus nach Lymphdrüsenexstirpation eher möglich als sonst.

Bei vielen Menschen bedeutet die sogenannte skrofulöse Lymphdrüsenschwellung im jugendlichen Alter die Epoche, in der sich der Organismus gegen die ubiquitäre Tuberkuloseinfektion immunisiert; darum Vorsicht mit der Entfernung dieser Kampf- und Schutzorgane, oder wenn eine Operation sich wegen Verkäsung und Vereiterung als nötig erweist, dann ist die uns heute mögliche und zweckmäßige Kräftigung des Körpers gegen die Infektion durch Tuberkulinkur nicht zu vergessen.

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