Dtsch Med Wochenschr 1922; 48(13): 416-418
DOI: 10.1055/s-0028-1132866
© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Die Strahlenbehandlung des Krebses. II. (Schluß aus Nr. 12.)

Otto Strauß
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Publication Date:
23 August 2009 (online)

Die Strahlenbehandlung des Krebses. I.

Zusammenfassung

Das Karzinom ist für die Therapie keine einheitliche Aufgabe. Die Uteruskarzinome nehmen eine Sonderstellung ein. Dadurch erklären sich die Gegensätze in der Bewertung der Strahlentherapie zwischen Chirurgen und vielen Gynäkologen. Zur Zeit kann die Behandlung des chirurgischen Karzinoms nur operativ sein. Die bisher viel vertretene, zeitweise sogar herrschende Auffassung, daß jedes Karzinom eine gleichmäßige Radiosensibilität besitzt und daß es nur eine Frage der Dosierung sei, ob man es beseitigen könne oder nicht, muß endgültig aus unserer Betrachtung ausscheiden. Wie sich diese Verschiedenheit der Wirkung erklärt, entzieht sich vorläufig noch unserer Kenntnis. Ueber die rohe Empirie sind wir noch nicht hinausgekommen. A priori könnte man ja annehmen, daß eine Krebsbildung um so leichter durch Bestrahlung zu beeinflussen ist, je radiosensibler der Mutterboden ist, auf dem sie entstanden ist. Diese Erklärung trifft für das Uteruskarzinom nicht zu, denn wir haben gesehen, daß die Schleimhaut des Uterus und der Vagina ausgesprochen schwach empfindlich gegen Bestrahlung ist. Es ist wahrscheinlich, daß entwicklungsgeschichtliche Vorgänge hier eine Rolle spielen. Ich will nicht etwa hier zurückgreifen auf die alte, mit Recht verlassene Cohnheimsche Theorie, sondern ich denke mir die Vorgänge so: das Karzinom entsteht entweder örtlich und bleibt lokalisiert, oder es entsteht auf Grundlage konstitutioneller Faktoren und generalisiert. Die örtliche Entstehung ist auf falsche Chromosomenkoppelung zurückzuführen. Der formative Trieb der Zelle mit falscher Chromosomenkoppelung wird durch Ektohormone lange niedergehalten und gelangt erst dann zu freier Entfaltung, wenn die Ektohormone wirkungslos werden und damit die Endohormone das Uebergewicht erhalten. Dies tritt ein in dem Lebensalter, in dem erfahrungsgemäß das Karzinom am meisten klinisch beobachtet wird. Ganz im Gegensatz dazu entwickelt sich die andere Krebsform. Hier entstehen fermentative Abartungen im Organismus. An irgendeiner Stelle rufen Reize chemischer oder physikalischer Art eine Karzinomentwicklung hervor. Diese Krebsform neigt zur Generalisation. Auf erstere ist die Strahlentherapie wirkungsvoll, auf letztere nicht.

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