Dtsch Med Wochenschr 1910; 36(45): 2081-2086
DOI: 10.1055/s-0028-1143193
© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Vaginale Methoden in der Geburtshilfe: Dilatation nach Bossi, Metreuryse, Kolpohysterotomie1)

Ph. Jung
  • Aus der Universitäts-Frauenklinik in Göttingen
1) Referat, erstattet für den 5. Internationalen Gynäkologen-Kongreß in St. Petersburg, September 1910.
Further Information

Publication History

Publication Date:
22 June 2009 (online)

Zusammenfassung

1. Die rasche und gewaltsame Dilatation der Cervix des schwangeren oder kreißenden Uterus mit dem Dilatator nach Bossi ist zu verwerfen, wenn der Zervikalkanal noch erhalten und wenn nicht vorher eine regelmäßige und kräftige Wehentätigkeit vorhanden gewesen ist.

Bei Erstgebärenden soll der Dilatator von Bossi überhaupt nicht angewendet werden. Ebenso ist er bei Placenta praevia strengstens kontraindiziert.

Nur bei Mehrgebärenden mit verstrichenem Zervikalkanal kann das Verfahren nach Bossi in der Hand eines geübten und erfahrenen Geburtshelfers in einzelnen Fällen Gutes leisten. Jedoch ist es wegen der stets drohenden Gefahr tiefer Cervixrisse dem Praktiker entschieden zu widerraten.

2. Für diejenigen Fälle, bei denen eine beschleunigte, aber nicht sofortige Entbindung notwendig ist, sowie bei Placenta praevia mit lebendem Kinde ist die Metreuryse das sicherste und beste Verfahren. Die Kolpohysterotomie ist bei Placenta praevia nur in der Klinik gestattet und sollte auch hier auf die Placenta praevia totalis beschränkt bleiben. Auch zur Einleitung der künstlichen Frühgeburt wird am besten der Metreurynter verwendet.

Bei Placenta praevia mit sicher abgestorbenem oder nicht lebensfähigem Kinde ist die kombinierte Wendung auf den Fuß das beste Verfahren.

3. Für diejenigen Fälle, in welchen eine sofortige Entbindung dringend indiziert ist, soll bei normalem Becken für die klinische Geburtshilfe die Kolpohysterotomie das Verfahren der Wahl sein.

Für den alleinstehenden Praktiker muß, wenn die Ueberführung in eine Klinik nicht möglich ist, auch für solche Fälle die Metreuryse als Notbehelf eintreten.

Die tiefen Zervixinzisionen nach Dührssen sind dem alleinstehenden Praktiker wegen der Gefahr der Blutung zu widerraten.

Die Versuche, die Kolpohysterotomie als Normalverfahren in die allgemeine geburtshilfliche Hauspraxis einzuführen, sind als höchst gefährlich und irreführend durchaus abzulehnen.

4. Bei engem Becken zweiten und dritten Grades und lebendem Kind muß an Stelle der unter No. 1—3 genannten vaginalen Verfahren der abdominale Kaiserschnitt in irgendeiner Form gewählt werden, falls die Kreißende nicht infiziert ist. Bei bestehender Infektion ist die Perforation auch des lebenden Kindes, ev. der Kaiserschnitt nach Porro auszuführen.

    >