Dtsch Med Wochenschr 1914; 40(47): 1981-1983
DOI: 10.1055/s-0029-1190795
© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Behandlung schwerer Tetanusfälle (Schluß aus Nr. 46.)

Theodor Kocher
  • Aus der Chirurgischen Klinik der Universität in Bern
Further Information

Publication History

Publication Date:
03 July 2009 (online)

Behandlung schwerer Tetanusfälle

Zusammenfassung

Was sollen wir nun für Schlußfolgerungen für die Praxis der nächsten Zeit ziehen aus den in der Literatur niedergelegten Beobachtungen über das zur Stunde wichtigste Heilmittel des Tetanus, nämlich das Magnesiumsulfat?

  1. Einmal das nicht genug zu betonende Faktum, daß die Wirkung des Mittels vorübergehend ist. Glücklicherweise! Das ist eine Tatsache, die Meltzer und Auer sehr betonen und auch diejenigen Autoren bestätigen, die von der Wirkung des Mittels eine andere Auffassung haben. Meltzer und Auer betonen hauptsächlich neben der Erschlaffung der Muskeln die anästhesierende Wirkung. Andere Autoren wollen bloß die erstere Wirkung gelten lassen und erklären mit Binet diese als eine dem Curare analoge, welche an den motorischen Endplatten ihren Angriffspunkt hat. Dieser Ansicht ist auch Wicki.[1]) Auch Prof. Straub in Freiburg i. Br., den ich vor kurzem sprach, erklärte sich entschieden hierfür. Aber Wicki gibt zu, daß bei intradermaler Injektion Anästhesie auftritt, welche sich mit der Konzentration steigert und entsprechend länger dauert, z. B. bei 15—25 % iger Konzentration œ Stunde. Die bei lumbaler Injektion auftretende Wirkung erklärt Wicki als eine lokale, und zwar im Sinne einer Deshydratation auf Mark und Nervenwurzeln durch die konzentrierte Salzlösung.

    Wir haben schon in unserer ersten Arbeit darauf hingewiesen, daß angesichts der gewaltigen Wirkung, welche die lumbale Magnesiumsulfatanwendung in kürzester Zeit ausübt, ferner angesichts unseres Nachweises, daß man die Wirkung beliebig in ihrer Ausdehnung nach oben beschränken kann durch die Körperlage — eine solche lokale Wirkung anzunehmen, am nächsten liegt, und zwar ist sie auch nach klinischer Beobachtung vorübergehend, weil jede üble Nachwirkung auf die Dauer ausbleibt. Das bestätigt denn auch Wicki bei seinen Versuchen, daß nichts von Nekrose oder ähnlicher Schädigung zurückbleibt. Das würde seiner Auffassung einer Deshydratation wohl entsprechen.

  2. Die zweite Tatsache, welche durchaus berücksichtigt werden muß, will man anders den vollen Nutzen haben von der Anwendung der Medikamente, ist die, daß nur die volle Dosis Erfolg geben kann. Diese ist an ihrer Wirkung leicht zu erkennen: Es muß ein völliger Nachlaß der Muskelstarre infolge der Injektion eintreten und jede anfallsweise Steigerung der Krämpfe völlig verschwinden, werde die Injektion nun subkutan oder lumbal gemacht. Ist diese Wirkung durch eine Injektion nicht zustandegekommen, so muß letztere unbedingt wiederholt werden. Ebenso muß, sobald die Wirkung nachläßt, Wiederholung eintreten, und zwar so oft bis sich die Wirkung des Tetanustoxins im Körper erschöpft hat. Wir haben die intradurale Lumbalinjektion bis zehnmal wiederholt.

    Die Dauer der Wirkung hängt von der Dosis ab. Hat man sie voll zustandegebracht, so kann sie bis 24 Stunden andauern, und es genügt dann eine einmal tägliche Injektion. Ist aber der Fall ganz akut und schwer, so kann man, wie in der Stadlerschen Statistik hervorgehoben, genötigt sein, bei subkutaner Anwendung 4—2stündlich eine neue Injektion zu machen; bei Wiederholung genügt nach meinen Erfahrungen oft eine etwas reduzierte Dose. Muß man so oft wiederholen, so kann nämlich nicht immer intraspinal injiziert werden.

  3. Es erscheint erlaubt nach gegenwärtigen Kenntnissen, bei beginnendem Tetanus zuerst einen Versuch zu machen mit subkutaner Einspritzung des Magnesiumsulfats, aber mit gehörigen Dosen. Es hat mich interessiert, im Lazarett des Diakonissenhauses in Freiburg i. Br. unter der trefflichen Leitung von Prof. Hotz zwei Fälle von geheiltem Tetanus zu sehen, welche mit subkutanen Injektionen, aber von 40 g, der eine davon zweimal täglich fünf Tage lang, behandelt waren. Ich fürchte nur, daß man in ganz schweren Fällen mit der subkutanen Anwendung nicht rasch genung zum Ziele kommen wird, sodaß man die intralumbale Anwendung mit ihrer raschen und kräftigen Wirkung vorziehen muß. Im Lazarett des Realgymnasiums in Freiburg, das unter Prof. Kahlers Leitung vortrefflich eingerichtet und geführt ist, sah ich einen von Dr. Otto durch intraspinale Behandlung geheilten Fall bei Verwendung von 8 ccm der 25% igen Lösung und konnte einen anderen frischen Fall sehen, bei dem dieselbe Behandlung — und zwar ohne Serumanwendung, weil keines mehr zur Verfügung stand — eingeleitet war und sehr gut wirkte. Es ist natürlich gar kein Grund, nicht gleich mit intralumbaler Injektion zu beginnen (sie muß in leichter Chloroformnarkose gemacht werden), ganz besonders dann, wenn, wie in Ottos Fall, (neben leichtem Trismus) im verletzten Bein allein noch die hochgradige Steigerung der Reflexerregbarkeit mit Krämpfen besteht, d. h. bei noch lokalem Tetanus.

    Es wäre gerade jetzt im Kriege angezeigt und die beste Gelegenheit, Erfahrungen darüber zu sammeln, ob man mit tapfer Schlag auf Schlag bei jeder Rückkehr der Krämpfe erneuten subkutanen Injektionen die Heilung auch bei ganz schweren und akuten Tetanusfällen erzwingen kann. Nach oben mitgeteilten Erfahrungen von Falk u.a. bei Tetanus neonatorum, der in der Regel sonst mit Tod ausgeht, hat es allen Anschein, daß es gelingt, auch hier die Heilung zu erzwingen. Bei Kindern halte ich schon jetzt die subkutane Magnesiumsulfatbehandlung mit großen Dosen für das einzig richtige Verfahren (bei Neugeborenen von 0,7—5,0 ccm 25% ige Lösung per Injektion 3mal täglich, bei fünfjährigem Kind (Mielke) 3,0 ccm 3mal täglich).

    Sicher aber kann ich sagen, daß es uns seit unserem ersten Fall bei allen unseren sechs bisherigen Beobachtungen von schwerem Tetanus Erwachsener trotz ganz bedenklicher Anfälle gelungen ist, durch die auf lumbalem Wege eingebrachte Magnesiumsulfatlösung Heilung zu erzielen, auch wenn wir genötigt waren, die Wirkung des Mittels durch größere Dosen und kopftiefe Körperlage bis auf die Erschlaffung der Atmungsmuskulatur auszudehnen und die natürliche Atmung durch künstliche intratracheale Insufflation unter Ueberdruck nach Meltzer bis nahe eine Stunde lang und 24stündiger vorübergehender Wiederholung zu ersetzen. Ich habe keine Erfahrung über die oben angegebene neueste Vereinfachung der künstlichen Atmung von Meltzer durch Ueberdruckatmung bloß durch fest auf Mund und Nase gesetzte Maske. Aber Meltzers Mitteilungen verbürgen deren Zuverlässigkeit. Meine ausnahmslos guten Erfolge sind durch die intratracheale Sauerstoffinhalation und Tracheotomie erzielt.

  4. Wir wollen noch besonders betonen, daß wir es nicht anerkennen können, wenn Petit[1]) zwar auch das Magnesiumsulfat empfiehlt, aber in einem Schlußsatz es für die Hauptsache dabei hält, daß es für den armen Kranken eine wesentliche Erleichterung des Sterbens sei. Ich halte das Magnesiumsulfat im Gegenteil für das zur Stunde wichtigste Mittel, um auch schwere und schwerste Tetanusfälle vor tödlichem Ausgang zu bewahren, auch da, wo man Serum nicht zu seiner Verfügung hat oder es bloß in mäßigen Dosen von 10—30 ccm verwendet in rein prophylaktischem Sinne.

    Ich muß noch hervorheben, daß ich im Kriege es mit Prof. Gulecke, der damit glänzende Erfolge für die Prophylaxis erzielt hat (nach seinen interessanten mündlichen Mitteilungen bei Besuch seines großartigen Lazaretts in Straßburg) für viel richtiger halte, nicht bloß, wo Verdacht besteht auf besondere Verunreinigung der Wunde, sondern in allen Fällen eine prophylaktische Injektion zu machen in Dosen von 10—20 g, statt das Serum zu verschwenden in Massendosen bei ausgebrochenem Tetanus, um dann nichts mehr zur Verfügung zu haben für die experimentell bewährte Prophylaxis. Gegen die übermäßigen Dosen spricht neben oben schon erwähnten Gründen auch der Fund von Mc Clintock und Hutchings[2]), welche schon 24 Stunden nach Seruminjektion in üblichen Dosen kein Toxin mehr im Blut nachweisen konnten.

    Wenn sich der Nachweis leichter gestalten wird, den dieselben Autoren bei ihren Versuchsschafen leisten konnten, daß schon vier Tage vor den ersten Tetanussymptomen Toxin im Blut nachweislich ist, so wird sich auch bei den der Tetanusinfektion verdächtigen Verletzten für die prophylaktische Injektion leichter die richtige Auswahl treffen lassen.

1 Arch. internat. d. Pharmacodynamie, Bruxelles 1911. Journ. d. Physiol., Bouchard et Chauveau. Paris 1906.

2 Tetanos confirmée et Sulphate de Magnesii, Thèse, Paris.

3 Journ. of infect. diseases 13 1913.

1 Arch. internat. d. Pharmacodynamie, Bruxelles 1911. Journ. d. Physiol., Bouchard et Chauveau. Paris 1906.

2 Tetanos confirmée et Sulphate de Magnesii, Thèse, Paris.

3 Journ. of infect. diseases 13 1913.

    >