Dtsch Med Wochenschr 1915; 41(32): 942-945
DOI: 10.1055/s-0029-1191296
© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Klinische Erfahrungen mit Diogenal, einem neuen Beruhigungsmittel1)

M. Serejski 1) Bei der Redaktion eingegangen am 5. VIII. 14.
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Publication Date:
15 July 2009 (online)

Zusammenfassung

Die sedative Wirkung des Diogenals ist durchaus die wesentlichere, die hypnotische kommt vielleicht nur insofern zum Vorschein, als das durch Diogenal beruhigte Nervensystem die Hypnotica entbehren kann. Wie wir übrigens aus der Erfahrung in der Privatpraxis an sogenannten Nervösen (Psychopathien leichten Grades) wissen, wirkt eine Dosis von 0,5—1,0 g auch hypnotisch. Die durchschnittliche Dauer des Schlafes ist 4—5 Stunden. Diogenal wirkt elektiv auf gewisse Gruppen von Kranken, am deutlichsten auf leicht erregte Psychopathen und Hysterische und nicht sehr tief gehende Depressionen. Auch bei ganz chronischen Fällen mit protrahiertem Verlauf (wie der erste von uns besprochene, wo die Depression mehr in die Breite als in die Tiefe ging) gelang es nach konsequenter Behandlung, einen bemerkenswerten Erfolg zn erzielen. Sonderbarerweise trat in den Fällen, wo die Depressionen mit stark psychogenen Zügen gefärbt waren, der Erfolg nicht mit gleicher Entschiedenheit und Deutlichkeit in Erscheinung. Ob das wesentlich mit der Symptomatologie zusammenhängt, wollen wir dahingestellt lassen. Auch einmalige Dosen wirkten öfters erregungsbekämpfend und angstlösend und hatten einen sichtbaren, wenn auch öfters nur ephemeren Erfolg. Oft war das Diogenal von Nutzen, indem es den unangenehmen Eindruck beim Eintritt in die Klinik hinwegtäuschte und auf diese Weise die Gewöhnung an das ungewohnte Milieu schuf. In vielen Fällen, wo das Diogenal nicht nützte, hat auch das Opium versagt. Wieder in anderen Fällen, wo das Opium keine Dienste leistete, hat sich das Diogenal sehr gut bewährt. Es sei aber ausdrücklich betont, daß in den Fällen, wo die Erregung immer crescendo ging, auch das Diogenal völlig machtlos war. Ob das Diogenal mit dem souveränen therapeutischen Agens bei Depressionen und ähnlichen Zuständen, dem Opium, konkurrieren kann, müssen wir einstweilen dahingestellt sein lassen. Jedenfalls wird das Diogenal da angezeigt sein, wo das Opium entweder von der Patientin absolut verweigert wird oder wo es kontraindiziert ist, wie z. B. bei nervösen Hyperämien des Gehirns, bei älteren Leuten und Kindern mit schwacher Herztätigkeit. Vielleicht wird man mit Vorteil in Fällen von Depression, wo das Diogenal ausreicht und das Opium vermieden werden kann, mit Rücksicht auf die ausbleibende oder zumindest nicht durch die Therapie verstärkte Obstipation dem ersten Mittel den Vorzug geben. In dem vorher besprochenen Fall von Depression mit ausgesprochener Polyphagie (Patientin genoß an einem Tage nebst allen Mahlgetränken 4 l Milch) haben wir dank dem Diogenal eine sicher bei Opium hervortretende Obstipation vermeiden können. Bei der Kombination Opium und Diogenal konnten wir uns des Eindrucks nicht verschließen, daß das Diogenal unterstützend wirke.

Das Diogenal ist durchwegs als Sedativum und leichtes Hypnoticum zu empfehlen. Es hat sich ganz ausgezeichnet bewährt und verdient in der Therapie der Psychosen beibehalten zu werden. Manche Mißerfolge sind sicher auf zu geringe Dosen zurückzuführen. Einer allgemeinen klinischen Verwendung steht leider ein Umstand im Wege, der hohe Preis des Diogenals; 1 g kostet 36 Pf. Wollte man also Dosen bis zu 3 g täglich verabreichen, so würde jeder Kranke täglich mehr als 1 M an Medikamenten kosten. eine Belastung, der eine öffentliche Anstalt selbstverständlich nicht gewachsen ist.

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