Dtsch Med Wochenschr 1920; 46(32): 881-882
DOI: 10.1055/s-0029-1192820
© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Kann die parenterale Zufuhr des Kaseïns auf Grund seiner physikalisch-chemischen Eigenschaften eine besonders starke Proteïnkörperwirkung hervorrufen?

Rudolf Riedel
  • Aus der Universitäts-Frauenklinik in Freiburg i/Br. (Direktor: Geh.-Rat Opitz.)
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Publication Date:
16 July 2009 (online)

Zusammenfassung

Wenn bei der Behandlung ein und derselben Krankheit mit verschiedenen Mitteln, die uns in der Proteïnotherapie zur Verfügung stehen, teils Erfolge, teils Mißerfolge berichtet werden, so liegt die Erklärung dafür in Folgendem:

Neben dem Zustand des Patienten, neben der Beschaffenheit des angewandten Serums (Alter), können Fehler in der Dosierung vorliegen. Nach Weichardt rufen zu große Dosen eine Leistungsverminderung hervor, zu kleine Dosen bleiben dagegen wirkungslos. Daneben spielt die Art des Mittels in bezug auf die Verschiedenheit der entstehenden Spaltprodukte eine Rolle; zu beachten ist dabei die Ausschaltung lähmender Produkte (Weichardt).

Ein anderer, nicht minder wiehtiger Faktor ist die Möglichkeit und Art der Spaltung des Eiweißmoleküls. Auch Weichardt nimmt bei der Verschiedenheit in der Erhöhung des Agglutinationstiters bei der Behandlung des Typhus mit Deuteroalbumose und Natr. nucl. an, daß bei letzterem die leistungssteigernden Gruppen erst im Körper gespalten werden müssen.

Ein Vorzug des Kaseïns ist darin zu erblicken, daß wir mit seiner parenteralen Einverleibung einen Körper einführen, zu dessen Abbau das Blut durch das in ihm befindliche Erepsin nachgewiesenermaßen befähigt ist (s.oben). Man könnte sich folgenden Fermentmechanismus vorstellen: Nach intravenöser Einverleibung von Kasein würde dasselbe durch das Erepsin in der Blutbahn abgebaut. Durch die sich dabei schnell bildenden Mon- und Diamine käme es durch zelluläre Reizvorgänge zur Aktivierung der Fermente, teils der Gewebsfermente, teils derer, die durch die Formelemente des Blutes abgesondert werden. Es käme, wie Heilner sich ausdrückt, zu einer Revolutionierung und Allgemeinmobilisierung des Gesamtorganismus. Erwähnt sei, daß schon der Organismus des Neugeborenen physiologischerweise auf den Abbau des Kaseïns besonders eingestellt ist (Lindig).

Der Repräsentant der Eiweißkörper, der auf Grund seiner chemisch-physikalischen Beschaffenheit — kein Glykokoll, viel Tyrosin und Tryptophan —, vielleicht auch des stereochemischen Aufbaus wegen (vgl. Spezifizität der Fermentwirkung und hohe Spezifizität optischer Drehung des Kaseïns) die Forderung der leichten Spaltbarkeit in weitgehendem Maße erfüllt, ist das Kasein.

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