Dtsch Med Wochenschr 1909; 35(23): 1006-1008
DOI: 10.1055/s-0029-1201509
© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Der Korsakowsche Symptomenkomplex nach Commotio cerebri

Ein Beitrag zur Kenntnis der akuten traumatischen PsychoseOscar Aronsohn - Nervenarzt in Berlin
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Publication Date:
01 August 2009 (online)

Zusammenfassung

Es besteht somit bei dem 50jährigen Patienten eine Psychose, welche sich im unmittelbaren Anschluß an eine Commotio cerebri entwickelte und mit fortschreitendem körperlichen und geistigen Verfall einhergeht. Es ist gegenwärtig eine erhebliche Demenz, eine Störung des Gedächtnisses und vor allem eine Störung der Merkfähigkeit vorhanden. Der Kranke sucht die Lücken des Gedächtnisses durch Konfabulationen auszufüllen, ist zeitlich garnicht, räumlich etwas besser orientiert und äußert schwachsinnige, phantastische Größenideen. Sinnestäuschungen waren nur am Anfange, und auch nur spärlich, vorhanden; Wahnideen fehlen ganz. Der Kranke ist ohne jede Krankheitseinsicht. Von körperlichen Zeichen sind hervorzuheben: das ausgeprägte Rombergsche Symptom, die lebhaft gesteigerten Patellarreflexe und die Abnahme des Körpergewichts und der Körperkräfte, während die anfangs ausgesprochene arthritische Sprachstörung (Silbenstolpern, Verlangsamung) sich gebessert hat.

Das Krankheitsbild ist danach unzweifelhaft das einer akuten traumatischen Psychose, einer sogenannten Kommotionspsychose. Es bietet die wesentlichsten Merkmale des Korsakowschen Symptomenkomplexes ohne polyneuritische Zeichen dar und bestätigt die Behauptung Kalberlahs, wonach die akuten traumatischen Psychosen, die Kommotionspsychosen, den Charakter und die Färbung der Korsakowschen Psychose tragen. Es stellt der beschriebene Fall eine reine, unkomplizierte Kommotionspsychose dar; außer einer leichten Kontusion des linken Auges und einer Schmerzhaftigkeit des Hinterkopfes bei Perkussion waren keine Verletzungen des Schädels vorhanden, auch späterhin keine Krankheitszeichen aufgetreten, die auf eine Herderkrankung schließen ließen. Die Demenz setzte sofort nach dem Abklingen des ängstlichen Erregungszustandes ein, während die Merkmale der Korsakowschen Psychose erst mit den körperlichen Degenerationszeichen deutlich in die Erscheinung traten. Mit dem Auftreten der Korsakowschen Zeichen war die Prognose des Falles eine durchaus schlechte. Ich glaube auf Grund meiner Beobachtung und der spärlichen in der Literatur bisher beschriebenen Fälle zu dem Schluß berechtigt zu sein, daß je weniger die Gehirnerschütterung durch grobe Blutungen, Herderscheinungen oder schwere Schädelbrüche kompliziert ist, desto deutlicher bei der nachfolgenden Psychose das Bild des Korsakowschen Symptomenkomplexes angetroffen wird. Es ist dabei unerheblich, ob man die Gehirnerschütterung als Ausdruck einer molekularen, funktionellen Schädigung der Nervenelemente an der Hirnoberfläche ansieht, oder glaubt, daß multiple Kontusionsherde der Hirnrinde ihr zugrunde liegen. Das Wichtigste für das Zustandekommen des Korsakowschen Symptomenkomplexes scheint lediglich die diffuse Rindenerkrankung an sich zu sein und die sich daran schließende Degeneration, nicht aber die Art der Rindenschädigung.

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