Via medici 2008; 13(5): 7
DOI: 10.1055/s-0029-1202099

Hätten Sie’s gewusst? – Nachtdienste – auf Dauer schädlich?

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Publication Date:
29 January 2009 (online)

Als junger Arzt kommt man um Nachtdienste kaum herum. Viele fürchten den Kampf gegen die Müdigkeit, denn auch zur Schlafenszeit wird von Medizinern stets volle Konzentration verlangt. Wir fragten Dr. med. Dieter Kunz, Experte für Schlafforschung und Klinische Chronobiologie, was Nachtdienste für Folgen haben können.

Was machen häufige Nachtdienste mit einem Menschen?

Dr. Kunz: Durch das Licht zum falschen Zeitpunkt werden die Phasen der zirkadianen Rhythmik verschoben. Kurzfristig wirkt das wie ein Jetlag, und man ist anfälliger für Infekte. Davon kann man sich relativ schnell erholen. Arbeiten Menschen allerdings über längere Zeit nachts, werden sie chronisch krank. Sie schütten permanent zum falschen Zeitpunkt das Schlafhormon Melatonin aus. Melatonin und Licht funktionieren wie die Pedale eines Getriebes, das die zirkadiane Rhythmik antreibt. Licht in der Nacht und Melatonin am Tag bringen diesen Ablauf durcheinander. Es entsteht ein Schichtarbeiter-Syndrom mit Kopfschmerzen, Schwindel, Verdauungsproblemen, Schlafstörungen und verminderter Leistungsfähigkeit. Auf lange Sicht haben diese Menschen keine zirkadiane Rhythmik mehr, sondern eine Nulllinie. Sie leiden öfter an kardiovaskulären Erkrankungen. Zudem erhöht chronischer Melatoninmangel das Krebsrisiko. Klar nachgewiesen ist zum Beispiel ein Zusammenhang mit Prostatatumoren und Mammakarzinomen.

Haben Nachtarbeiter mehr Arbeitsunfälle?

Dr. Kunz: Dieser Sachverhalt ist wenig untersucht, weil die Firmen, die Nachtarbeiter beschäftigen, wenig Interesse an solchen Studien haben. Es gibt allerdings Untersuchungen, die zeigen, dass Ärzte im Nachtdienst mehr falsche Diagnosen erheben. Zudem weiß man, dass Ärzte nach einem Dienst öfter in Unfälle verwickelt sind. Das ist nicht verwunderlich: Die Reaktionsgeschwindigkeit verändert sich durch Schlafentzug. Ist man 24 Stunden wach, ist das mit einem Alkoholspiegel von 0,8 Promille vergleichbar.

Was kann man tun, um gesundheitliche Folgeschäden zu verhindern?

Dr. Kunz: Am besten, man arbeitet überhaupt nicht nachts. Wenn es sich nicht vermeiden lässt, sollte man in der Zeit um die Dienste herum die innere Uhr stärken, indem man die äußeren Hell-Dunkel-Reize unterstützt. Das bedeutet, tagsüber möglichst viel Tageslicht zu tanken. Nachts sollte man darauf achten, dass es wirklich dunkel im Schlafzimmer ist.

Wie hält man sich während der Schicht am besten wach?

Dr. Kunz: Am effektivsten wirkt helles Licht, vor allem wenn der melatoninunterdrückende Blaulichtanteil hoch ist. Weil so ein Licht die innere Uhr durcheinanderbringt, sollte man sich ihm aber nur aussetzen, wenn man in einem Hochrisikobereich arbeitet. Rotlicht ist unschädlich – hat allerdings auch keinen Wachmachereffekt.

Wie viele Nachtdienste kann ein Mensch pro Monat machen?

Dr. Kunz: Nicht mehr als drei bis fünf. Junge Mitarbeiter können das zwar leisten, brauchen danach aber Zeit zur Regeneration. Je älter ein Mensch ist, desto schwieriger wird die Adaptation. In meiner Abteilung habe ich deshalb allen Ärzten über 35 Jahren freigestellt, Nachtdienste zu machen.

Grübeln Sie über einer Frage, die sich mit keinem Lehrbuch beantworten lässt? Schicken Sie uns Ihre Frage an: via.medici@thieme.de. Die interessantesten Fragen werden hier beantwortet.

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