Dtsch Med Wochenschr 2009; 134(14): 709
DOI: 10.1055/s-0029-1208111
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Leserbriefe
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Fallkonferenz Integrative Medizin – Modell für die Zukunft

K. Engelhardt
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Publication Date:
24 March 2009 (online)

Zum Beitrag in DMW 5/2009

In dem sehr interessanten Kommentar „Fallkonferenz Integrative Medizin – Modell für die Zukunft” [1] plädieren Brinkhaus und Mitarbeiter für eine Kooperation von Schul- und Komplementärmedizin. In unserer pluralistischen Gesellschaft mit verschiedenen Werten und Religionen liegt es nah, auch in der Medizin pluralistisch zu denken. Die Autoren schreiben, dass das Verhältnis von Schulmedizin einerseits, komplementärer und alternativer Medizin (KAM) andererseits oft von einem Defizit „an Dialogbereitschaft und Zusammenarbeit zwischen den Vertretern beider Richtungen” charakterisiert wird. Die Popularität der KAM ist groß, wie aus der von den Autoren zitierten Umfrage hervorgeht. Viele Ärzte üben KAM wie z.B. Homöopathie oder Akupunktur aus. Für eine Annäherung beider Richtungen wird in dem Kommentar eine Diskussion auf der Basis von Patientenkasuistiken empfohlen. Zu unterschreiben ist die Sicht von Brinkhaus und Mitarbeitern, dass eine gute Arzt-Patient-Beziehung und eine patientenzentrierte Betreuung [3] für die Heilung wichtig sind. Therapeuten der Akupunktur, Homöopathie und Anthroposophie, um nur 3 Beispiele von KAM zu nennen, nehmen sich oft viel Zeit für die Kranken und beziehen die ganze Person und ihr psychosoziales Feld in die Behandlung ein. Das wäre auch in der Schulmedizin äußerst wirkungsvoll.

Nun sind Vertreter der KAM jedoch überzeugt, dass ihre Methoden außerdem über spezifische Mechanismen wirken. Homöopathen glauben z. B. an das Prinzip „Gleiches wird durch Gleiches geheilt” und an Verdünnungen als Potenzierung. Akupunkteure glauben an präzise definierte Nadelungspunkte und traditionelle chinesische Theorien („Qui”, „Yin”, „Yang”).

Es besteht kein Zweifel, dass Kontextfaktoren [2], z. B. Freundlichkeit, Zeit und Zuhören des Arztes, Vertrauen und Hoffnung des Patienten, entscheidend für ein besseres Befinden sind. Es besteht zwischen Schulmedizinern und Anhängern von KAM allerdings eine kleine, aber wesentliche Differenz: Schulmediziner sind der Ansicht, dass die Erfolge von KAM, z. B. bei funktionellen Leiden, durch Kontextfaktoren bzw. mächtige Placeboeffekte verursacht werden. Das genügt alternativen Therapeuten nicht. Sie besitzen den festen Glauben, dass ihre Behandlung spezifisch wirkt [4]. Durch diesen Glauben an die Spezifität ihrer Eingriffe, der naturwissenschaftliches Denken und Wissen übersteigt, wird der Placeboeffekt potenziert. Der gemeinsame Glaube des Praktikers und seines Patienten, dass die Methoden von KAM über machtvolle Placeboeffekte hinausgehen, verschafft diesen Mitteln in den Augen der Schulmedizin die Eigenschaft von Superplacebos [5]. Auch wenn man nicht so weit geht wie das Bibelwort, dass der Glaube Berge versetzen kann, so spielen in unserem säkularisierten und profanen Zeitalter nichtreligiöse, therapeutische Glaubenssysteme eine bedeutende und oft unterschätzte Rolle.

Schulmedizin und KAM sollten sich darin einig sein, dass die von vielen Patienten gewünschte Ganzheitlichkeit kein nichtssagendes Etikett und kein missbrauchtes Modewort für eine spezielle KAM-Methode sein darf. Ganzheitlichkeit ist der Imperativ, nicht nur die Krankheit als Objekt, sondern auch den Patienten als Subjekt zu berücksichtigen.

Literatur

  • 1 Brinkhaus B. et al . Fallkonferenz Integrative Medizin – Modell für die Zukunft.  Dtsch Med Wochenschr. 2009;  134 207-208
  • 2 Di Blasi Z. et al . Influence of context effects on health outcomes: a systematic review.  Lancet. 2001;  357 757-762
  • 3 Engelhardt K. Patienten-zentrierte Medizin und Ethik.  Dtsch Med Wochenschr. 2003;  128 1969-1971
  • 4 Engelhardt K. Ist alternative Therapie nur Placebotherapie? Nichtkonventionelle Behandlungsmethoden unter besonderer Berücksichtigung von Homöopathie und Akupunktur.  Internist Prax. 2007;  47 615-624
  • 5 Ernst E, Resch K L. The science and art of the placebo effect.  Current Therapeutics, Update November. 1994;  619-622

Prof. Dr. med. Karlheinz Engelhardt

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