Dtsch Med Wochenschr 2009; 134(14): 710
DOI: 10.1055/s-0029-1208112
Korrespondenz | Correspondence
Leserbriefe
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Fallkonferenz Integrative Medizin – Modell für die Zukunft – Erwiderung

B. Brinkhaus, M. Teut, S. N. Willich
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Publication Date:
24 March 2009 (online)

In seinem Leserbrief zu unserem Artikel „Fallkonferenz Integrative Medizin – Modell für die Zukunft” [1] unterstreicht Herr Prof. Engelhardt die Bedeutung der guten Arzt-Patienten-Beziehung und einer patientenzentrierten Betreuung für die Wirkung von Therapieverfahren und postuliert, dass dies „auch in der Schulmedizin äußerst wirkungsvoll wäre”. Dieser Einschätzung stimmen wir ausdrücklich zu. Die Komplementärmedizin hätte möglicherweise weniger Resonanz, wenn in der Schulmedizin verstärkt im Sinne einer verbesserten Arzt-Patienten-Beziehung gearbeitet würde.

Sowohl Schul- als auch Komplementärmediziner sind der Meinung, dass die von ihnen durchgeführten Therapieverfahren spezifische Effekte haben. Zu Recht deutet Prof. Engelhardt an, dass der Nachweis der spezifischen Wirksamkeit bei komplementärmedizinischen Therapieverfahren häufig nicht vorliegt. Aus diesem Grund sind nach Engelhardt Schulmediziner der Ansicht, dass die Erfolge von Komplementärmedizin vor allem durch Kontextfaktoren zustande kommen.

Nach unserer Meinung ist hier ein Pauschalurteil zur Spezifität des Therapieeffekts in der Komplementärmedizin nicht angebracht. Die wissenschaftliche Evidenz von komplementärmedizinischen Therapieverfahren sollte immer gezielt für definierte Indikationen und Therapiemethoden betrachtet werden. Neuere Übersichtsarbeiten aus dem Bereich der Akupunktur weisen beispielsweise auf spezifische Effekte der Akupunktur bei chronischen Schmerzerkrankungen hin, u. a. Spannungskopfschmerzen, Gonarthrose und chronischen LWS-Schmerzen [2] [3] [4] . Bei der Migräneprophylaxe konnte hingegen kein spezifischer Effekt nachgewiesen werden [5], interessanterweise ist aber die Akupunktur bei dieser Indikation wirksamer als die Standardtherapie. Ob homöopathische Arzneimittel spezifische arzneibezogene Therapieeffekte verursachen, ist nicht eindeutig geklärt. Dazu liegen 2 hochrangig publizierte Übersichtsarbeiten vor, die zu widersprüchlichen Ergebnissen kommen [6] [7] und deren Methodik kritisch beurteilt wurde [8]. Neuere Übersichtsarbeiten zu pflanzlichen Arzneimitteln deuten darauf hin, dass die Phytotherapeutika Johanniskraut, Ginkgo biloba und Sägepalme bei den Indikationen leichte bis mittelschwere Depression, Alzheimer Demenz bzw. benigne Prostatahyperplasie spezifische Effekte haben – bei besserer Verträglichkeit im Vergleich zur konventionellen Medizin [9] [10] [11]. Alle diese spezifischen Effekte sind allerdings nicht groß, und es gibt sehr viele Therapieverfahren aus dem Bereich der Komplementärmedizin, für die überhaupt keine wissenschaftliche Evidenz vorliegt.

Komplexe Therapieverfahren sowohl aus dem Bereich der Komplementärmedizin (z. B. Akupunktur) als auch aus dem Bereich der Schulmedizin (z. B. Massage, Krankengymnastik) haben generell größere unspezifische Effekte bzw. Kontexteffekte als Verfahren der Pharmakotherapie [12] . Daher gelingt es in klinischen placebokontrollierten Studien zu komplexen Verfahren seltener, spezifische Effekte nachzuweisen [12] . In der Patientenversorgung wird bei großen Kontexteffekten auch von einem „Superplacebo” gesprochen. Zu Recht, wie wir meinen. Allerdings betrifft das alle komplexen Therapieverfahren und nicht „nur” ausgewählte Verfahren der Komplementärmedizin. Häufig werden Placeboeffekte in der Diskussion negativ gewertet, was aus Sicht des Praktikers zu bedauern ist, wenn sie klinisch relevante Therapieeffekte verursachen. Wir stimmen Prof. Engelhardt nachdrücklich zu, dass Komplementär- wie Schulmediziner zukünftig Kontexteffekte stärker und bewusster bei der Therapie mit einbeziehen sollten.

Literatur

  • 1 Brinkhaus B. et al . Fallkonferenz Integrative Medizin – Modell für die Zukunft.  Dtsch Med Wochenschr. 2009;  134 207-208
  • 2 Furlan A D, Tulder M W, Cherkin D, Tsukayama H, Lao L K, Bart W, Berman B M. Acupuncture and dry-needling for low back pain. Cochrane Database of Systematic Reviews 2008 4
  • 3 Linde K, Allais G, Brinkhaus B, Manheimer E, Vickers A, White A R. Acupuncture for tension-type headache. Cochrane Database Syst Rev 2009 CD007587
  • 4 Manheimer E, Linde K, Lao L, Bouter L M, Berman B M. Meta-analysis: acupuncture for osteoarthritis of the knee.  Ann Intern Med. 2007;  146 868-77
  • 5 Linde K, Allais G, Brinkhaus B, Manheimer E, Vickers A, White A R. Acupuncture for migraine prophylaxis. Cochrane Database Syst Rev 2009 CD001218
  • 6 Linde K, Clausius N, Ramirez G, Melchart D, Eitel F, Hedges L V, Jonas W B. Are the clinical effects of homeopathy placebo effects? A meta-analysis of placebo-controlled trials.  Lancet. 1997;  350 834-843
  • 7 Shang A, Huwiler-Müntener K, Nartey L, Jüni P, Dörig S, Sterne J A, Pewsner D, Egger M. Are the clinical effects of homeopathy placebo effects? Comparative study of placebo-controlled trials of homeopathy and allopathy.  Lancet. 2005;  366 726-732
  • 8 Lüdtke R, Rutten A L. The conclusions on the effectiveness of homeopathy highly depend on the set of analyzed trials.  J Clin Epidemiol. 2008;  61 1197-1204
  • 9 Linde K, Berner M M, Kriston L. St John’s wort for major depression. Cochrane Database Syst Rev 2008 CD000448
  • 10 IQWiG .Gingkohaltige Präparate bei Alzheimer-Demenz. http://www.iqwig.de/download/A05-19B_Kurzfassung_Abschlussbericht_Ginkgohaltige_Praeparate_bei_Alzheimer_Demenz.pdf. 29-9-2008
  • 11 Wilt T, Ishani A, MacDonald R. Serenoa repens for benign prostatic hyperplasia (Review).  Cochrane Database of Systematic Reviews. 2002;  (Issue 3)
  • 12 Walach H. The efficacy paradox in randomized controlled trials of CAM and elsewhere: beware of the placebo trap.  J Altern Complement Med. 2001;  7 213-218

Benno Brinkhaus
M. Teut
Prof. Dr. S. N. Willich

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