Pädiatrie up2date 2009; 4(2): 183-205
DOI: 10.1055/s-0029-1214683
Kinderchirurgie

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Lippen-Kiefer-Gaumen-Segelspalten

Robert  Sader
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
22. Juni 2009 (online)

Einleitung

Ursachen für Lippen-Kiefer-Gaumen-Segelspalten

Epidemiologie. Die Lippen-Kiefer-Gaumen-Segelspalte (LKGS) wird den kraniofazialen Fehlbildungen (Dysplasien) zugerechnet und ist mit einer Häufigkeit von 1 : 500 – 700 Geburten in Zentraleuropa die am häufigsten chirurgisch zu behandelnde angeborene Fehlbildung. Nur angeborene Herzfehler und Klumpfuß treten häufiger auf, sind jedoch im Gegensatz zur LKGS-Spalte nicht immer operativ therapiebedürftig. In Japan steigt die Inzidenz sogar auf bis zu 1 : 370 an. Dagegen tritt in Afrika nur bei jedem 2400. Kind und in Schwarzafrika nur bei jedem 3300 – 4400. Kind eine Spaltbildung auf. Der Grund für diese geografisch unterschiedlichen Ergebnisse liegt vermutlich in der genetischen Mitbegründung der Spaltbildung als multifaktorielle genetische Erkrankung.

Nach einer epidemiologischen Untersuchung der WHO (World Health Organisation, 2004) sind Jungen etwa doppelt so häufig von Lippen-Kiefer-Gaumen-Segelspalten betroffen wie Mädchen. Die isolierten Spalten des Gaumens betreffen dagegen vermehrt Mädchen, etwa auch im Verhältnis von 2 : 1. Interessanterweise tritt die Spaltbildung im Bereich von Lippe und Kiefer bis zu dreimal häufiger auf der linken als auf der rechten Seite auf. Bei ungefähr 15 % aller Betroffenen treten die Spalten beidseitig auf. Die LKGS-Spalte kann auch im Rahmen von Syndromen auftreten (ca. 8 %), häufig tritt sie jedoch isoliert auf.

Theorie der Polygenie. Die Ätiologie der Spaltbildung ist bislang nicht geklärt. In etwa 15 % der Fälle kann statistisch eine Vererbung nachgewiesen werden, wobei häufig auch Generationen übersprungen werden (Tab. [1]). Die zurzeit am meisten anerkannte Theorie geht von einer „additiven Polygenie mit Schwellenwerteffekt” aus, d. h., dass mehrere Gene für die Vererbung verantwortlich sind (Polygenie), die auf bisher noch nicht bekannte Weise bei der Spaltbildung zusammenwirken. Durch diese erbliche Vorbelastung können negative weitere Faktoren (aktuell diskutiert wird z. B. ein eventueller lokaler Sauerstoffmangel) einen größeren Einfluss nehmen.

Bedeutung externer Einflüsse. Als primäre Ursache werden z. B. Alkohol, Nikotin, Stress, Medikamenteneinnahme vielfach gerade im Internet als potenzielle Ursache diskutiert. Bislang wurde jedoch keinerlei direkter Zusammenhang mit einer Noxe nachgewiesen, sodass dies eher unwahrscheinlich erscheint. Stattdessen führen solche unkritischen unüberlegten, vor allem jedoch unbelegten Äußerungen häufig zu belastenden und unnötigen Schuldgefühlen bei den Eltern. Unangebrachte Schuldzuweisungen stellen deswegen eine vermeidbare Belastung dar.

Merke: Deshalb ist eine gute Aufklärung der betroffenen Eltern, was diesen Punkt betrifft, ganz besonders wichtig: „Sie haben nichts falsch gemacht!”

Auch Ängste und Sorgen wegen eines erhöhten Auftretens des plötzlichen Kindstodes sollte man den Eltern nehmen, da Kinder mit einer isolierten Spaltfehlbildung davon nicht vermehrt betroffen sind.

Tabelle 1 Vererbungshäufigkeit einer Spaltbildung. Beide Elternteile unauffällig Ein Elternteil Spaltträger Hat bereits ein Kind eine Spalte, erhöht sich das Risiko für das zweite Kind auf ca. 5 %. Das Risiko für ein betroffenes Kind erhöht sich auf ca. 5 %. Haben bereits zwei Kinder eine Spalte, erhöht sich das Risiko für das dritte Kind auf ca. 10 %. Hat bereits ein Kind eine Spalte, erhöht sich das Risiko für das zweite Kind auf ca. 14 %.

Prävention

Heutige präventive Maßnahmen zielen primär auf eine Verbesserung der Sauerstoffversorgung während der Embryonalzeit ab. Generell am wichtigsten erscheint für die Prävention von Fehlbildungen eine ausreichende Vitaminsubstitution während der Schwangerschaft zu sein. Durch die Gabe von Folsäure- und B-Vitaminpräparaten konnte nachgewiesenermaßen die Auftretenswahrscheinlichkeit von Neuralrohrdefekten (z. B. Spina bifida) deutlich gesenkt werden. Aus diesem Grunde sollte eine solche Prophylaxe immer durchgeführt werden. Leider trifft dies für LKGS-Spalten trotz anderslautender Aussage nicht zu, eine Prävention für LKGS-Spaltbildung, gerade bei Risikoschwangerschaften, ist bis heute nicht möglich.

Univ.-Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Robert Sader

Direktor der Klinik für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie
Klinikum der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt

Theodor Stern Kai 7
60590 Frankfurt am Main

Telefon: +49(69)6301-5643

Fax: +49(69)6301-5644

eMail: R.Sader@em.uni-frankfurt.de

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