Pneumologie 2009; 63(12): 702-708
DOI: 10.1055/s-0029-1214895
Historisches Kaleidoskop

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Robert Koch und die Tuberkulose: Die Begründung der medizinischen Bakteriologie

Robert Koch and Tuberculosis: The Beginning of Medical BacteriologyC.  Gradmann1
  • 1University of Oslo, Section for Medical Anthropology and Medical History
Further Information

Publication History

Publication Date:
16 November 2009 (online)

Mikrobenjäger

Die medizinische Bakteriologie galt am Ende des 19. Jahrhunderts als Inbegriff moderner, naturwissenschaftlicher Medizin. Zwar war sie nicht die erste Disziplin der Medizin, die – wie es der Zeitgeist verlangte – ihr Wissen alleine auf Beobachtung, Messung und Experiment stützte; aber sie unterschied sich doch in einem wichtigen Punkt von der Physiologie, dem anderen Paradefach der Labormedizin: Durch das Versprechen, ihre im Labor ermittelten Kenntnisse im Alltag ganz praktisch zur Wirkung zu bringen, weckte sie euphorische Hoffnungen, die sich in gewisser Weise mit den heutzutage an die medizinische Genetik geknüpften Erwartungen vergleichen lassen.

Die Bakteriologie gab ansteckenden Krankheiten ein neues Gesicht in der Gestalt kleiner, unsichtbarer Erreger und versprach zugleich, die Welt von diesen Krankheiten befreien zu können. Infektionskrankheiten erkannte man als von Bakterien verursacht und die Bakteriologen waren die Männer, die dieser Gefahr zu begegnen wussten.

Im Falle keiner Krankheit gilt dies mehr als in dem der Tuberkulose. Die zumeist als Schwindsucht bekannte Krankheit war wahrscheinlich die wichtigste Todesursache im Europa des 19. Jahrhunderts für annähernd 15 % aller Todesfälle verantwortlich zu machen. Gleichzeitig veränderte sich in diesem Zeitraum ihr Begriff dramatisch: Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es eine nach ihrem typischen Verlauf als Schwindsucht bekannte Lungenerkrankung mit dem wissenschaftlichen Namen Phthisis, deren Verwandtschaft mit einer Reihe von anderen Krankheiten vermutet wurde. Am Ende des Jahrhunderts waren alle diese Krankheiten, deren Namen wie Lupus, Skrofeln etc. heute nur noch dem Fachmann bekannt sind, zu klinischen Erscheinungsbildern ein und derselben Infektionskrankheit geworden, eben der Tuberkulose[1].

Abb. 1 Robert Koch (ca. 1884).

Dies ist vor allem das Verdienst des deutschen Mediziners Robert Koch (1843 – 1910), der 1905 für seine Arbeiten über eben dieses Thema den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin erhielt[2]. Seine Identifizierung des heute als Mycobacterium tuberculosis bekannten Erregers der Krankheit war der bis dahin größte Erfolg der noch jungen medizinischen Bakteriologie und gilt als seine größte wissenschaftliche Leistung. Für seinen Freund und Kollegen Friedrich Loeffler (1852 – 1915) machte sie „ihn mit einem Schlage zum größten, erfolgreichsten und verdienstvollsten Forscher für alle Zeiten.”[3] Paul Ehrlich (1854 – 1915), der bei dem denkwürdigen Vortrag Kochs in Berlin am 24. März 1882 anwesend war, bei dem Koch erstmals über den Erreger berichtete, schrieb, ihm sei „jener Abend stets als mein größtes wissenschaftliches Erlebnis in Erinnerung geblieben.”[4] Ihren Zeitgenossen erschien die Arbeit bereits als Durchbruch und dem Entdecker selbst brachte das überwältigende Echo im Juni 1882 die Ernennung zum Geheimen Regierungsrat ein. Für Koch war die Identifizierung des Tuberkuloseerregers einer von zwei Schritten auf dem Weg zum Ruhm: Zusammen mit der Cholera-Expedition von 1883/84, die Kochs Ansehen in der Allgemeinheit begründete, markiert die Identifizierung des Tuberkuloseerregers als wissenschaftliche Sensation seinen Aufstieg zum Ruhm in den frühen 1880er-Jahren.

„In Zukunft wird man es im Kampf gegen diese schreckliche Plage des Menschengeschlechts nicht mehr mit einem unbestimmten Etwas, sondern mit einem fassbaren Parasiten zu tun haben”[5], so Koch bei der Präsentation seiner Ergebnisse. Und in der Tat: Der Tag, an dem Koch seine Arbeit in Berlin vorstellte, steht wie kein anderer für den Aufstieg eines bis dahin von nur wenigen kultivierten Spezialgebietes zur Erfolgsdisziplin ihrer Zeit. Und noch in einer weiteren Hinsicht lassen sich Kochs Arbeiten zur Tuberkulose als epochal begreifen: Sie stehen für ein anfangs der 1880er-Jahre entwickeltes Repertoire an bakteriologischer Technik und Methode, das aus der Entschlüsselung der Tuberkulose heraus einen Zugang zur Erforschung anderer Infektionskrankheiten zu bieten schien. Es ist insofern folgerichtig, dass Kochs Mitarbeiter Friedrich Loeffler für die aus diesen Methoden entwickelten Kriterien der Erregernachweise kurz darauf den Begriff der Kochschen Postulate prägte.[6]

Wie aber kam dieser Erfolg zustande? Auf welcher methodischen und technologischen Basis beruhte er? Auf welche Vorarbeiten Anderer griff Koch zurück? Welche Konsequenzen hatte die Arbeit für das zeitgenössische Verständnis der Tuberkulose und schließlich: in welchem Verhältnis steht die Arbeit zu den sogenannten Kochschen Postulaten? Diesen Fragen soll im Folgenden nachgegangen werden.

Literatur

  • 1 Barnes D S. The making of a social disease: Tuberculosis in 19th-century France. Berkeley; Univ. of California Press 1995
  • 2 Bochalli R. Die Entwicklung der Tuberkuloseforschung in der Zeit von 1878 – 1958. Rückblick eines deutschen Tuberkulosearztes. Stuttgart; Georg Thieme 1958
  • 3 Dormandy T. The white death: a history of tuberculosis. New York; New York University Press 1999
  • 4 Smith F B. The retreat of tuberculosis 1850 – 1950. London; Croom Helm 1987
  • 5 Gradmann C. Gegen den Weißen Tod. Robert Koch, die Tuberkulose und das Tuberkulin. In: Päuser S (Hrsg). Sinne, Sensoren und Systeme. Eine Reise durch die Geschichte der Labordiagnostik. Basel; Editions Roche 2003: 194-205
  • 6 Brock T D. Robert Koch: A Life in Medicine and Bacteriology. Madison/Wisconsin; Science Tech Publishers 1988
  • 7 Gradmann C. Krankheit im Labor. Robert Koch und die medizinische Bakteriologie. Göttingen; Wallstein-Verlag 2005
  • 8 Löffler F. Zum 25jährigen Gedenktage der Entdeckung des Tuberkelbazillus.  Deutsche Medizinische Wochenschrift. 1907;  33 449-451 [489 – 495]
  • 9 Möllers B. Robert Koch. Persönlichkeit und Lebenswerk 1843 – 1910. Hannover; Schmorl und von Seefeld 1950
  • 10 Koch R. Die Ätiologie der Tuberkulose. In: Schwalbe J, ed. Gesammelte Werke von Robert Koch. Leipzig; Georg Thieme 1912 (1882): 428-445
  • 11 Loeffler F. Untersuchung über die Bedeutung der Mikroorganismen für die Entstehung der Diphtherie beim Menschen, bei der Taube und beim Kalbe.  Mittheilungen aus dem kaiserlichen Gesundheitsamte. 1884;  2 421-499
  • 12 Gradmann C. Alles eine Frage der Methode. Zur Historizität der Kochschen Postulate 1840 – 2000.  Medizinhistorisches Journal. 2008;  43 121-148
  • 13 Koch R. Über die Ätiologie der Tuberkulose. In: Schwalbe J (Hrsg). Gesammelte Werke von Robert Koch. Leipzig; Georg Thieme 1912 (1882): 446-453
  • 14 Koch R. Kritische Besprechung der gegen die Bedeutung der Tuberkelbazillen gerichteten Publikationen. In: Schwalbe J (Hrsg). Gesammelte Werke von Robert Koch. Leipzig; Georg Thieme 1912 (1883): 454-466
  • 15 Koch R. Die Ätiologie der Tuberkulose. In: Schwalbe J (Hrsg). Gesammelte Werke von Robert Koch. Leipzig; Georg Thieme 1912 (1884): 467-565
  • 16 Schlich T. Ein Symbol medizinischer Fortschrittshoffnung. Robert Koch entdeckt den Erreger der Tuberkulose. In: Schott H (Hrsg). Meilensteine der Medizin. Düsseldorf; Harenberg 1996: 368-374
  • 17 Faber K. Nosography: The Evolution of Clinical Medicine in Modern Times. New York; Paul B. Hoeber 1930
  • 18 Niemeyer F. Lehrbuch der speziellen Pathologie und Therapie mit besonderer Rücksicht auf Physiologie und pathologische Anatomie. Berlin; August Hirschwald 1863
  • 19 Koch R. Zur Untersuchung von pathogenen Mikroorganismen. In: Schwalbe J (Hrsg). Gesammelte Werke von Robert Koch. Leipzig; Georg Thieme 1912 (1881): 112-163
  • 20 Baumgarten P. Tuberkelbakterien.  Centralblatt für die medizinischen Wissenschaften. 1882;  20 257-259
  • 21 Orth J. Ätiologisches und Anatomisches über Lungenschwindsucht. Berlin; Hirschwald 1887
  • 22 Carter K C. The Rise of Causal Concepts of Disease: Case Histories. Aldershot; Ashgate 2003

1 Zur Geschichte der Tuberkulose einführend [1] [2] [3] [4]. Der folgende Text beruht in wesentlichen Teilen auf [5].

2 Einführend zu Koch vor allem [6] [7].

3 [8: 449].

4 Ehrlich, in: Frankfurter Zeitung 2. 6. 1910, nach: [9: 133].

5 [10: 444].

6 [11] [12].

7 [10] [13] [14] [15]. Zum Rahmen des Vortrages von 1882 [16].

8 Zur Entwicklung des Krankheitsbegriffes im 19. Jahrhundert bietet Faber [17] eine unübertroffene Einführung.

9 [18: 171].

10 Als Überblick [19].

11 [15: 472].

12 [10: 429].

13 [10: 430].

14 [10: 432/433].

15 [20]. Baumgarten hatte allerdings auf Kultivierung und Tierversuche verzichtet. Anlässlich einer Gegenüberstellung beider Arbeiten im Mai 1882 anerkannte Baumgarten offenbar, dass es Koch war, der den Nachweis der Ätiologie geführt hatte [9: 550].

16 [19: 122].

17 [11].

18 [15: 551].

19 [15: 485].

20 Beschreibungen finden sich: [10: 431]; [15: 491].

21 [15: 538].

22 [10: 442].

23 [15: 467].

24 [10: 442].

25 Es war [21], der zeitgenössisch darauf hinwies, dass Koch eher ein traditionelles Verständnis der Tuberkulose modernisiert, als ein völlig neues geschaffen hatte.

26 [15: 531].

27 [15: 550].

28 [7] [22].

29 [15: 469/470].

30 [11].

31 Hier ist vor allem an die Arbeiten über das Tuberkulin zu denken [7: 134 – 170].

Christoph Gradmann

University of Oslo
Section for Medical Anthropology and Medical History

P.O.Box 1130 Blindern
0318 Oslo

Email: Christoph.Gradmann@medisin.uio.no

    >