Psychiatr Prax 2010; 37(2): 56-58
DOI: 10.1055/s-0029-1223442
Debatte: Pro & Kontra

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Es gibt keine „schwierigen” Patienten

There are no „Difficult” PatientsPro: Martin  Hambrecht Kontra: Wolfgang  Weig
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Publication Date:
24 February 2010 (online)

Pro

Kürzlich erschien ein Fortbildungsaufsatz über den „schwierigen” Patienten in der psychiatrischen Versorgung [1], in dessen Überschrift die Gänsefüßchen zu finden waren, die letztlich zu der zugegebenermaßen provozierenden These führten, die hier diskutiert werden soll.

Wörter in Anführungszeichen zu setzen, bedeutet häufig, dass man sich ironisch oder durch die Unterlegung eines anderen Sinns von ihnen distanzieren möchte. Im Falle des „schwierigen” Patienten geschieht dies regelhaft – und dies schon seit einigen Jahrzehnten und nicht nur in deutschen Veröffentlichungen [2] [3] [4] [5].

„Schwierige” Patienten gibt es in allen Fachgebieten, nicht nur in der Psychiatrie. In einer Studie bezeichneten Internisten und Chirurgen dreier Kliniken 22 % ihrer Patienten als „severely or extremely difficult to help” [2]. Patienten, die besonders krank oder unzufrieden mit der Behandlung waren oder häufig wiederkehrten, wurden signifikant häufiger als „difficult to help” eingeschätzt. Psychosoziale Faktoren erachteten diese Nichtpsychiater bei den „schwierigen Patienten” als besonders relevant. Insbesondere „schwierig” galten ihnen unerklärliche Symptome, begleitende soziale Probleme und gravierende unbehandelbare Krankheiten.

Die wiederkehrenden Anführungszeichen legen nahe, dass sich viele Autoren mit dem Begriff unwohl fühlen – kein Wunder, denn es existiert keine einheitliche Definition für den „schwierigen” Patienten [1]. Der Begriff ist interpretationsbedürftig. Wie die referierte Studie illustriert, beschreibt er eine komplexe soziale Situation – auf Kosten des so etikettierten Patienten. Und so plädiere ich dafür, den Begriff „schwieriger Patient” fallen zu lassen. Dafür sprechen sozialpsychologische, klinische und ethische Gründe.

Sozialpsychologisch greift der Begriff „schwieriger Patient” zu kurz, wenn damit eine Eigenschaft gemeint ist, die ein Patient hat. Denn, wenn in der aktuellen Fortbildung [1] als allererste Charakterisierung steht „Der Patient gilt als schwierig bzw. macht Schwierigkeiten aus der Sicht der in der Psychiatrie tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter” (S. 848), dann wird deutlich, dass es hier um ein Merkmal einer z. B. konflikthaften oder für die Beteiligten enttäuschenden sozialen Beziehung geht. Umgekehrt könnte genauso der Patient die Mitarbeiter als „schwierig” titulieren, wenn er mit ihnen z. B. um etwas streiten muss. Letztlich ist „Schwierigkeit” also ein Merkmal der Beziehung und nicht der Akteure, hervorgerufen etwa durch Unterschiede in Sozialisation, Werten oder Bedürfnissen. Mit der Etikettierung eines Patienten als „schwierig” verbaut sich das psychiatrische Team den Zugang zu einem Verständnis dieser Unterschiedlichkeit. Die Eigenschaftszuschreibung an den Patienten macht sie zu seinem Problem statt zu einem gemeinsamen.

Der Begriff „schwieriger Patient” ist aus einem weiteren Grund wenig hilfreich: Ausgehend von der definitorischen Schwammigkeit bildet er ein Sammelbecken für die verschiedensten Problemstellungen, die sich aus unterschiedlichsten klinischen, soziodemografischen und diagnostischen Merkmalen ergeben. Die genannte Fortbildung fasst zwar für den typischen „schwierigen Patienten” die Merkmale jung, männlich, an Schizophrenie, Persönlichkeitsstörung des Clusters B, Substanzmissbrauch und / oder hirnorganischer Beeinträchtigung leidend, impulskontrollgestört, aggressiv und noncompliant zusammen (was an sich schon eine recht bunte Mischung darstellt), verkennt aber, dass therapeutische Beziehungen im klinischen Alltag noch sehr viel vielfältiger als „schwierig” erlebt werden – und teilweise von unterschiedlichen Behandlern und verschiedenen Teams wiederum ganz unterschiedlich. Manche Therapeuten können histrionische Patienten gut aushalten, andere überhaupt nicht, kommen dafür aber mit chronischen Schmerzpatienten oder wiederholt rückfälligen Alkoholpatienten besser zurecht. Chronische Suizidalität oder therapieresistente Depression sind weitere schwierige Problemstellungen, die bei fehlender Bewusstheit für die eigene Gegenübertragung und die eigenen Wertvorstellungen als Merkmal „schwierig” dem Patienten zugeschrieben werden.

Auf den Begriff „schwieriger” Patient sollte auch verzichtet werden, weil er in der Regel als Etikett haften bleibt, die eigene Haltung rigide werden lässt und der Dynamik in der Behandlungsbeziehung nicht gerecht wird. So wurden z. B. Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörung mancherorts lange pauschal als „schwierig” etikettiert – bis für diese Gruppe Behandlungsstrategien zur Verfügung standen. Umgekehrt bedeutet die Etikettierung eines Patienten als „schwierig”, dass man eben (noch) keine Konzepte für seine Behandlung hat. Mit Etikettierung vermeidet man, die eigenen Grenzen und langwierige, evtl. nicht „heilbare” Krankheitsbilder zu akzeptieren. Dies aber würde beispielsweise die notwendige Diskussion um die „Chronizität” psychischer Erkrankungen [6] befördern.

Unter „schwierig” wird in einer zweiten Dimension verstanden, dass ein Patient „Schwierigkeiten im Sinne ungünstiger Prognose, schlechter Lebensqualität und hoher Komplikationsrate hat” [1]. Hier benötigt man allerdings den Begriff „schwierig” nun überhaupt nicht. Vielmehr sollte man die Risikofaktoren, psychosozialen Belastungen usw. konkret benennen. Sie erschweren zweifellos die Behandlung und sollten zu bescheidenen Therapiezielen veranlassen, charakterisieren aber wiederum nicht den Patienten selbst, sondern sein Krankheitsbild bzw. seine Situation.

In einer dritten Dimension werden Patienten als „schwierig” bezeichnet, wenn sie hohe Kosten verursachen (z. B. als „high utilizer” oder „heavy user”) oder wenn sie Sicherheit und Ordnung beeinträchtigen [1]. Auch hier scheint es sinnvoller und bringt therapeutisch weiter, wenn man das konkrete Behandlungsproblem benennt (z. B. hohe Rückfallgefahr, dissoziales Verhalten), als es hinter einem inhaltsarmen aber stigmatisierenden Begriff von „schwierig” als Eigenschaft des Patienten zu verwischen.

Realistischerweise müssen wir zugeben, dass wir bei manchen Patienten Schwierigkeiten mit der Behandlung haben. Die Zementierung des Begriffs „schwieriger” Patient wirft uns in der Diskussion aber um Jahrzehnte zurück. Schon in den 50er- und 60er-Jahren wurde zur Reflexion über schwierige Behandlungsbeziehungen aufgerufen [3]. Solange es bei der Etikettierung „schwieriger Patient” bleibt, bleibt die Auseinandersetzung mit der Gegenübertragung ein Lippenbekenntnis. Balint-Arbeit aber auch empirische Forschung werden negiert, wie sie z. B. der „Difficult Doctor-Patient Relationship Questionnaire” [4] im angloamerikanischen Raum erlaubt. Mit diesem Instrument zeigte z. B. eine große empirische Untersuchung in einer allgemeinmedizinischen Ambulanz [5], dass Ärzte mit einer gering ausgeprägten psychosozialen Haltung 3-mal so viele Patientenbegegnungen als „schwierig” erlebten als Kollegen mit einer stärkeren psychosozialen Orientierung. Wir brauchen auch hierzulande mehr derartige Forschung. Damit können u. a. auch neue praktische Lösungen für typische Probleme „schwieriger” Patienten wie mangelnde Compliance untersucht werden [7].

Literatur

Prof. Dr. med. Dr. phil. Martin Hambrecht

Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Evang. Krankenhaus Elisabethenstift gGmbH

Landgraf-Georg-Straße 100

64287 Darmstadt

Email: hambrecht.martin@eke-da.de

Prof. Dr. med. Wolfgang Weig

Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Chefarzt der Magdalenen-Klinik

Alte Rothenfelder Straße 23

49124 Georgsmarienhütte

Email: wolfgang.weig@magdalenen-klinik.de