Balint Journal 2009; 10(4): 118-119
DOI: 10.1055/s-0029-1224559
Kongressbericht

© Georg Thieme Verlag Stuttgart ˙ New York

Lehren vom Toten Meer – Teil 2

Lessons from the Dead Sea – Part 2E. R. Petzold
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Publication Date:
02 December 2009 (online)

Warum dieser Titel? Ich bekomme ihn einfach nicht los, obwohl es doch so einfach wäre, ihn zu löschen. Ich kann dieses im Sonnenlicht matt glitzernde, silbrige Wasser, undurchdringlicher als der „blanke Hans“ nicht mehr vergessen, nicht die hohen und steilen, hell rötlich leuchtenden Bergrücken auf beiden Seiten des Sees, vor allem aber nicht die Geschichte, die irgendwo mit Abraham beginnt und mit dem Untergang zweier Städte, um deren Erhalt er wie kein anderer rang, und die dennoch für eine gottverlassene Welt stehen. Ich kenne keine Region auf dieser Erde, die so unglaublich beispielhaft für die Bewegungen menschlicher Möglichkeiten steht wie eben dieses Meer, das man das „tote“ nennt.

Bald nach dem Libanon Krieg im Herbst 2006 ­waren wir Gäste der israelischen Balint Gesellschaft in Zichron Yaakov. Vom 4.–10.3.2008 waren wir wieder in Israel. Wir, das waren Heide ­Otten und der Referent. Am Mittwoch trafen wir uns in Jerusalem mit Marieke van Schie, ihrem Mann, aus den Niederlanden, den Gastgebern der Delegierten Konferenz in Leiden von Mitte Oktober 2008, John Salinsky aus UK und Sigmar Scheerer aus Heinersdorf / Brandenburg. Jetzt war uns Jerusalem schon etwas vertrauter. Das Wetter war wunderbar, aber die Stadt voller Polizei, denn gleichzeitig mit uns war auch Condolezza Rice dort, also Sicherheitsstufe 1. Einen Tag später gab es einen Selbstmordanschlag auf eine Talmudschule mit 7 oder 8 Toten. Der Sohn einer Kollegin in unserer Gruppe am Toten Meer war 28 Stunden verschwunden, die Spannung entsprechend groß.

Ein Karem ist ein kleiner Ort in einem wunderschönen Tal westwärts von Jerusalem. Hier soll Johannes der Täufer geboren worden sein, jener Prophet, von dessen Leben, Wirken und Enthauptung in den Evangelien erzählt wird. Wir treffen in diesem kleinen Ort Gerda Elata und ihren Mann. Vor Jahren hatten wir ihren und Sobels Beitrag über „Sprache und Arzt – Gedichte und Fragen der Ethik in der Medizin“ aus einem Seminar mit Studenten der medizinischen Columbia Fakultät / Ben Gurion, in Bersheeba ins BJ übernommen [1].

Wir fuhren über Jerusalem, etwa 800 m über dem Meeresspiegel abwärts zum Toten Meer, das als tiefster Punkt der bewohnten Erde gilt – 400 m unter dem Meeresspiegel. Die Fahrt ging durch die judäasche Wüste, in der schon lange vor Jesus sich jüdische Geschichte ereignet hat. Z. B. fuhren wir an Jericho vorbei, das immer noch als eine der ältesten Städte dieser Erde genannt wird.

Hochinteressant war die Besichtigung von Mas­sada, jenem steilen Felsenberg, auf dem sich ­Herodes eine scheinbar uneinnehmbare Fes­tung gebaut hatte. Besonders eindrucksvoll war das Wasserversorgungssystem, das selbst die ­Römer nicht unterbrechen konnten als sie etwa 70 J / p. C. die Festung belagerten – 3 Jahre lang! In dieser Zeit ließen sie von jüdischen Sklaven eine Rampe bauen, über die sie einen Rammblock vor die Mauer schieben konnten und mit dessen Hilfe sie dann die Mauer aufbrechen konnten. Am nächsten Morgen fanden sie die letzten Vertei­diger der Burg, an die 1 000 Menschen – tot (!). ­Einer der größten Massenselbstmorde der Geschichte – und sie fanden wohl auch die schriftlich fixierte Rede eines Rabbiners, in der diese Selbstmorde begründet sein sollen. Danach tilgten die Römer den Namen Judäa von ihren Landkarten. Palästina hieß es ab sofort, Philisterland.

Wir fahren an Ein Gedi vorbei, einem berühmten Kibutz, ähnlich dem, in dem auch Gad Granach [2] gelebt hat, jener früh in den dreißiger Jahren ausgewanderte Jude, dessen Vater, Alexander Granach ein großer Schauspieler in dem Deutschland der zwanziger Jahre war [3]. Freitag Mittag wanderten wir von hier in sengender Hitze in das Wadi Daniel zu einem atemberaubend schönen Wasserfall. In den zerklüfteten Felswänden des Wadis findet sich so manche Höhle. In einer von diesen hatte sich David vor Saul versteckt und diesem, als er in derselben Höhle Schutz vor der sengenden Sonne suchte, ein kleines Stück seines Mantels abgeschnitten, ihn nicht ermordet, wie es ihm seine Gefährten vor­geschlagen hatten. / „Der Herr hat ihn in Deine Hand gegeben!“ / Der Respekt vor dem Amt des Königs habe ihn zurückgehalten. Ein kleines Stückchen Stoff, das zur Vorgeschichte des Christentums gehört.

Versöhnung statt Rache.

Vorbei geht unsere Fahrt an Qumran, an jenen Höhlen, in denen man bald nach dem zweiten Weltkrieg Schriftrollen fand, die so manchen alten, auch prophetischen Text in ein neues Licht rückten. Auch hier sind die neuesten Forschungsergebnisse noch zu erkunden. Das braucht etwas Zeit.

Wer waren diese Essener, mit denen ja auch Jesus in Zusammenhang gebracht wurde? War er einer von ihnen? Man diskutierte diese Frage ausgangs der fünfziger, anfangs der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts in der Theologie [4].

Eine steinerne Skulptur, die Lots Weib darstellen sollte, erinnert an Sodom und Gommora. Wir kommen in der öden, trostlos ausgetrockneten, von steilen Felsbergen umgebenen Landschaft in eine Hotelstadt, in der auch unser Beth Daniel stand, ein komfortables Hotel, in dem die 6. Jahrestagung der israelischen Balint Gesellschaft sowie auch das Delegiertentreffen der IBF stattfinden sollten (06.–09.03.08).

Freundlich wurden wir von den Organisatoren begrüßt: Mark Budow, Andrè Matalon, Benyamin Maoz. Dann gab es die erste Lecture von John Salinsky – ein bewegender Rückblick auf das ­Leben eines Allgemeinarztes, der relativ früh in Kontakt mit einer Balintgruppe kam (Leiter: M. Courtenay) und lange Zeit der Sekretär der IBF war.

Danach begann die Gruppenarbeit in englischer Sprache mit deutschen, israelischen und englischsprachigen Teilnehmern (Leiter: Prof. Maoz und Hava Katz). Rund 15 Teilnehmer. Eine ganz neue Erfahrung für mich war die Übersetzung vom Englisch ins Deutsche während der Gruppenarbeit, eine ganz andere Art der Konzentration. Eindrucksvoll aber auch war, wie Sigmar Scheerer, der am weitesten außen Stehende trotz – oder wegen der sprachlichen Distanz das Geschehen zu interpretieren verstand. Insgesamt hatten wir drei Gruppensitzungen von je 90 min Dauer. Vorgestellt wurden drei allgemeinmedizinische Fälle bzw. Arzt-Patient-Beziehungen.

Die zweite Lecture am Freitag Morgen von Sotaridis Zalidis über Anna Karenina und die Ärzte in diesem Roman von Tolstoi wurde zwischenzeitlich im BJ 2 / 2009 publiziert. Zalidis ist als Allgemeinarzt auch Coleiter einer englischen studentischen Balintgruppe in London, hilfreich – so kommt es rüber, – diesen in ­einer doch recht emotionalen Phase ihres Lebens Hilfestellung zu geben, Hilfestellung für das emotionale Bewusstwerden. ­Tolstoi, so Zalidis, konstruierte einen scharfen Kontrast zu den überwältigenden Gefühlen der in dem Roman geschilderten ­Paare.

Zu Beginn der Delegierten Konferenz am Toten Meer betont der in Lissabon 2007 gewählte Präsident Henry Jablonsky der IBF den Wert des internationalen Austausches über Balintarbeit bei diesen Treffen. Er betont die Entwicklung der Psychosomatik in Deutschland als beispielhaft für andere Länder [5]. Er öffnet ­damit ein Fenster für etliche Diskussionen und Fragen israelischer Kollegen am Rande der Tagung. Einen kleinen Raum nimmt auch der Balintpreis / Ascona ein, der im September 2009 in Brasov / Rumänien an drei Preisträger aus Israel, Rumänien und Deutschland verliehen werden wird. Und wen es noch interessiert; – das Baden im Toten Meer ist genau so kurios, wie man es schon oft gehört hat.

Literatur

  • 1 Elata-Alster G, Sobel R. Sprache und Arzt.  BJ. 2004;  Teil I 14-17 Teil II 40-43
  • 2 Granach G. Heimat Los! Aus dem Leben eines jüdischen Emigranten. Fischer; 2001
  • 3 Granach A. Da geht ein Mensch. München: Weismann Verlag; 1987
  • 4 Hirschfeld Y. Qumran – Die ganze Wahrheit bewertet die alten Funde neu. Gütersloher Verlagshaus; 2004
  • 5 Jablonsky S H. Three cities, three syndromes, three challenges for the doctor / therapist.  BJ. 2009;  4 115-117

Prof. Dr. med. E. R. Petzold

Goethestraße 5

72127 Kusterdingen

Email: erpetzold@gmx.de

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