Dtsch Med Wochenschr 2009; 134(28/29): 1487-1488
DOI: 10.1055/s-0029-1225307
Korrespondenz | Correspondence
Leserbrief
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Hyponatriämie, Rhabdomyolyse und Enzephalopathie nach Einnahme von Hydrochlorothiazid und Tee – Erwiderung

J. Fritzsch, K. Eckrich
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Publication Date:
01 July 2009 (online)

Herr Dr. Mantel stellt in seinem Leserbrief die Fragen, warum die Patientin soviel getrunken hat und wie viel man überhaupt trinken soll bzw. darf.

Die erste Frage lässt sich nur im Ausschlussverfahren beantworten: Die Laborwerte sprachen weder für einen Harnwegsinfekt, noch für eine Glukosurie oder eine Hyperkalzämie. Eine psychische Erkrankung als Ursache einer psychogenen Polydipsie bestand nicht. Der Deutsche Wetterdienst teilte für den Aufnahmetag eine lokale Höchsttemperatur von 23 ˚C und eine Tagesmitteltemperatur von 17 ˚C mit.

Die Patientin hatte selbst keine Erklärung, sie habe einfach nur Durst gehabt. Durst wird durch das Durstzentrum im Organum vasculosum der Lamina terminalis reguliert, welches rostral des Hypothalamus an der Vorderwand des 3. Ventrikels liegt [2]. Eine erhöhte Konzentration von Angiotensin II im Liquor löst Durst aus, wenn die Plasmaosmolalität erhöht (osmotischer Durst) oder das Extrazellulärvolumen reduziert ist (hypovolämischer Durst). Da unsere Patientin eine erniedrigte Plasmaosmolalität aufwies, gehen wir von der Hypothese aus, dass die Diuretikatherapie zu einem Flüssigkeitsmangel im Extrazellulärraum und dadurch zu hypovolämischem Durst geführt hatte. Durch die 7 Liter Tee war es zum Ausgleich des Flüssigkeitsdefizites gekommen, so dass die Patientin bei Aufnahme keine klinischen Zeichen eines Flüssigkeitsmangels aufwies.

Die zweite Frage scheint von allgemeinem Interesse: Der Trinkberater (www.trinkberater.de) des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft e. V. verzeichnet pro Jahr mehr als 20 000 Anfragen.

Die Wasserbilanz des Körpers ergibt sich aus der Wasserzufuhr (1,3 l Getränke, 0,9 l Wasser in Nahrungsmitteln, 0,3 l im Körper entstehendes Oxidationswasser) und der Wasserausscheidung (1,5 l Urin, 0,9 l über die Atmung und die Haut, 0,1 l mit dem Stuhl).

Die Komponenten Getränke, Urin, Stuhlwasser und Haut können großen Schwankungen unterliegen. Beispielsweise kann starke körperliche Aktivität bei Hitze zu hohen Wasserverlusten über die Haut führen, so dass mehrere Liter pro Stunde getrunken werden müssen. Um die Plasmaosmolalität in diesem Komplex aus mehreren Variablen konstant halten zu können, verfügt die Niere über die Kapazität, die Urinosmolalität in einem weiten Bereich zwischen 60 und 1200 mosmol/l zu variieren – vorausgesetzt dass keine ADH-Regulations- oder -Empfindlichkeitsstörung oder andere Störfaktoren vorliegen. Pro Kilogramm Körpergewicht werden täglich ca. 10 mosmol harnpflichtige Substanzen produziert. Unsere 72 kg schwere Patientin produziert bei normal eiweißhaltiger Ernährung ca. 720 mosmol harnpflichtige Substanzen und kann bei einer angenommenen minimalen Urinosmolalität von 60 mosmol/l damit 720 : 60 = 12 Liter freies Wasser pro Tag ausscheiden und die Plasmaosmolalität konstant halten.

Wenn aber Störfaktoren hinzukommen, wie bei unserer Patientin Thiazide (Saluretika hemmen den renalen Natrium-Chlorid-Ko-Transporter und steigern die Natriurese), eiweißarme vegane Ernährung [3] , inappropriate ADH-Sekretion, Herz- oder Niereninsuffizienz, Leberzirrhose, Hypothyreose oder Nebenniereninsuffizienz, kann es schon bei geringerer Wasserzufuhr zur verminderter Plasmaosmolalität mit Hyponatriämie und klinischen Folgezuständen kommen [1].

Da es – wie Herr Mantel feststellt – keine randomisierten Studien gibt, kann die tägliche Trinkmenge nur empirisch auf der Grundlage von Erfahrungen und von Überlegungen zur Physiologie des Flüssigkeitshaushaltes empfohlen werden. Um die renalen Verluste auszugleichen, sollten 1 – 2 Liter getrunken werden, bei erhöhten enteralen oder kutanen Verlusten entsprechend mehr. Bei normaler eiweißhaltiger Ernährung und uneingeschränkter Variationsbreite der Urinosmolalität von 60 – 1200 mosmol/l kann der Körper theoretisch Trinkmengen zwischen 600 ml und 12 l verkraften und trotzdem die Plasmaosmolalität im Normbereich halten. Voraussetzung ist aber, dass keine erhöhten extrarenalen Verluste bestehen, keine der genannten Störfaktoren wirken und keine Saluretika eingenommen werden, die die renale Natriumausscheidung steigern. Die theoretisch errechnete minimale Trinkmenge von 600 ml wird der Realität mit jederzeit möglichen unvorhergesehenen kutanen oder enteralen Verlusten allerdings nicht gerecht, so dass die Empfehlung, dass ältere Patienten täglich mindestens 1 l trinken sollen, sinnvoll erscheint.

Die im Leserbrief angegebene Menge von einer Kiste Mineralwasser (9 bzw. 12 l) kann grenzwertig viel sein; 8  ×  8 Unzen (64 fl oz à 29,57 ml entsprechen 1892 ml) sind bei Herz- und Nierengesunden sicherlich nicht zuviel.

Literatur

  • 1 Hoorn E J, Zietse R. Hyponatremia revisited: translating physiology to practise.  Nephron Physiol. 2008;  108 46-59
  • 2 McKinley M J, Mathai M L, McAllen R M. et al . Vasopressin secretion: osmotic and hormonal regulation by the lamina terminalis.  J Neuroendocrinol. 2004;  16 340-347
  • 3 Thaler S M, Teitelbaum I, Berl T. „Beer potomania” in non-beer drinkers: effect of low dietary solute intake.  Am J Kidney Dis. 1998;  31 1028-1031

Dr. med. Jörg Fritzsch
Kristina Eckrich

Klinik für Innere Medizin, HELIOS Klinik Zwenkau

Pestalozzistr. 9

04442 Zwenkau

Email: joerg.fritzsch@helios-kliniken.de

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