Der Klinikarzt 2009; 38(5): 219
DOI: 10.1055/s-0029-1225543
Zum Thema

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Risikomanagement der Alzheimer–Demenz

Lutz Frölich, Andreas Meyer–Lindenberg
Further Information

Publication History

Publication Date:
03 June 2009 (online)

In den kommenden Jahrzehnten werden die Alzheimer–Krankheit und andere Demenzerkrankungen die Nummer eins der weltweiten Volkskrankheiten sein, die voraussichtlich bis zum Jahr 2050 die alarmierende Zahl von 100 Millionen Betroffenen überschreiten wird. Die Inzidenz der Demenzerkrankungen nimmt aufgrund unserer alternden Bevölkerung astronomisch zu. So berichteten die Bevölkerungsprojektionen der Vereinten Nationen, dass sich die Zahl der 60– und über 60–Jährigen in den vergangenen 50 Jahren verdreifacht hat und sich in den kommenden 50 Jahren nochmals verdreifachen wird. Es besteht also ein deutlicher Zusammenhang zwischen Lebensalter und Häufigkeit der Demenzerkrankungen. Jenseits des 65. Lebensjahrs verdoppelt sich die Inzidenz der Demenz ungefähr alle 5–6 Jahre, was bedeutet, dass in der Gruppe der 80–85–Jährigen etwa 40–45? % an einer Form von Demenz leiden. Noch bedeutender ist, dass Studien der vergangenen 30 Jahre belegen, dass die Erkrankung bereits zum Zeitpunkt der Diagnosestellung zur Neurodegeneration großer Teile des Gehirns geführt hat. Daraus folgt, dass noch erhebliche Anstrengungen zur Entwicklung effektiver präventiver Maßnahmen oder zum Risikomanagement dieser Erkrankung nötig sind. Einige Risikofaktoren für die Entstehung einer Demenz, wie zum Beispiel Alter und Genetik, können nicht verändert werden. Allerdings können auch Faktoren des Lebensstils, wie Bewegung, Rauchen, Alkoholkonsum oder Ernährung, sowie (kardio–)vaskuläre Faktoren, das Demenzrisiko beeinflussen, die im Laufe eines Menschenlebens durchaus verändert werden können.

Zu Beginn der Erkrankung verläuft die kognitive Funktion über einen variablen Zeitraum plateauartig und nimmt später mit variabler Geschwindigkeit ab. Das Ziel der präventiven Therapie ist es daher, einerseits so lange wie möglich die Höhe des Plateaus zu erhalten, andererseits auch die Geschwindigkeit des Abbaus zu bremsen.

Aus diagnostischer und therapeutischer Sicht besteht die große Herausforderung darin, aus einer Gruppe gesunder Personen vorauszusagen, wer von ihnen das Risiko trägt, vor dem 65. Lebensjahr beziehungsweise erst nach dem 85. Lebensjahr an einer Demenz zu erkranken. Aufgrund dieser Informationen könnten dann Strategien entwickelt werden, die das Entstehen von Schlüsselrisikofaktoren – also Primärprophylaxe – verhindern, oder auch Therapien, die das Fortschreiten in Richtung einer klinischen Demenz verlangsamen. Dies erfordert einerseits, bestehende Technologien (z. B. bildgebende Verfahren, Biomarker, genetische Risikofaktoren) bereits bei jüngeren Menschen anzuwenden, andererseits aber auch die Entwicklung neuer Technologien, neuer genetischer Marker und neuer Biomarker. Ziel ist es dabei, möglichst viele Informationen über frühe Krankheitszeichen zu gewinnen, um den individuellen Krankheitsverlauf prognostizieren zu können, sowie diesen Verlauf durch potenzielle Behandlungsmöglichkeiten beeinflussen zu können. Da die Erkrankung multifaktoriell ist, ist zweifellos eine Analyse der vielfältigen Krankheitsmuster erforderlich, wie sie auch in der Genom– und Proteomforschung angewandt werden. Künftig sollten Risikofaktoren und Präventionsmaßnahmen noch stärker ins öffentliche Bewusstsein rücken. Gleichzeitig sind politische Maßnahmen notwendig, die eine engmaschige Kontrolle der Risikofaktoren ermöglichen, so wie es bei kardiovaskulären (z. B. Bluthochdruck) und metabolischen Erkrankungen (z. B. Adipositas), bereits der Fall ist. Denn die Möglichkeit, präventiv einzugreifen, ist zweifellos am größten, wenn den Risikofaktoren bereits im mittleren Lebensalter begegnet wird. Es besteht daher ein Bedarf an Gesundheitsprogrammen, um die Entstehung von Demenz bei älteren Menschen stärker ins Bewusstsein zu rücken. Besondere Aufmerksamkeit sollte auch den Hochrisikogruppen mittleren Alters geschenkt werden, um einer Demenz vorzubeugen oder deren Beginn hinauszuzögern. Dies gilt auch für Hochrisikogruppen mit einer beginnenden Demenz, wie zum Beispiel sozial isolierte ältere Menschen, bei denen wir ein Fortschreiten der Erkrankung möglicherweise hinauszögern und ihnen weiterhin ein aktives Leben ermöglichen können.

Es ist anzunehmen, dass ein vielschichtiger integrierter Zugang in Bezug auf präventive Maßnahmen mehr Nutzen bringt, als eine Intervention, die sich auf einen einzelnen Risikofaktor beschränkt. Dazu brauchen wir sorgfältig konzipierte und überwachte randomisierte kontrollierte Studien, um herauszufinden, bis zu welchem Ausmaß eine Intervention die kognitive Beeinträchtigung bei Personen mit einem erhöhten Demenzrisiko aufhalten kann. Aufgrund der logistischen und ethischen Herausforderungen ist es jedoch unwahrscheinlich, dass der momentane Erkenntnisgrad, der auf Langzeitkohortenstudien beruht, bald von randomisierten kontrollierten Studien abgelöst werden wird, mit denen die Interventionsmöglichkeiten getestet werden können.

Prof. Dr. med. Lutz Frölich
Prof. Dr. med. Andreas Meyer–Lindenberg

Mannheim

    >