Suchttherapie 2009; 10 - S442
DOI: 10.1055/s-0029-1240332

Alkoholpolitische Forschung auf wackeligen Beinen: Wie verlässlich sind internationale Datenbanken?

A Uhl 1
  • 1Ludwig-Boltzmann-Institut für Suchtforschung, Wien, Österreich

Fragestellung: Wie verlässlich sind Policy-Modelle, die vorgeben, auf empirische Daten aufzubauen? Und wie kann man die empirischen Grundlagen verbessern?

Methodisches Vorgehen: Eine Analyse einiger Policy relevanter internationaler Datenbasen hinsichtlich Konsistenz und Validität unter Berücksichtigung eigener Erfahrungen.

Ergebnisse: Experten und Aktivisten, die bestimmte Policymaßnahmen fordern, begründen ihr Engagement oft mit „Evidenz“ aus internationalen Datenbanken. Eine kritische Analyse zeigt allerdings, dass diese Datenlage oft viel dünner ist, als allgemein angenommen. Selbst bei gut geplanten, internationalen Erhebungen, wie z.B. den regelmäßigen ESPAD-Erhebungen, die von namhaften nationalen Forschern aus vielen Staaten gemeinsam durchgeführt werden, treten Probleme auf, die die Interpretierbarkeit der Daten erheblich einschränken. Probleme gibt es auch in anerkannten europäischen und internationalen Datenbanken, die offizielle Statistiken zu Behandlung, Todesursachen, Kriminalität etc. sammeln, da diese Daten in der Regel nicht zu Forschungszwecken erhoben werden sondern im Zuge von Routinearbeiten anfallen – mit anderer Motivation und Zielsetzung. Die mit Abstand größten Probleme entstehen, wenn mangels ausreichender Finanzierung wichtige Institutionen unentgeltlich Daten von internationalen Forschern erbitten, was fast zwangsläufig zur Sammlung von fragwürdigen Ad-hoc-Schätzungen und wilden Spekulationen führt.

Schlussfolgerungen: Viele interessante Datenbestände können auf technologischen, ökonomischen und/oder ontologischen Gründen nicht adäquat erhoben werden. Statt weiterhin viele Daten mit unsinnigen Strategien zu aggregieren, sollte eine Fokussierung auf relevante Projekte erfolgen, die sinnvolle Resultate erwarten lassen. Ein Geldgeber, der Unmögliches fordert und sich dessen nicht bewusst ist, fördert zwangsläufig potemkinsche Dörfer.

Literatur: Uhl, A.; Beiglböck, W.; Fischer, F.; Haller, B.; Haller, R.; Haring, Ch.; Kobrna, U.; Lagemann, Ch.; Marx, B.; Musalek, M.; Scholz, H.; Schopper, J.; Springer, A. (2005): Alkoholpolitik in Österreich - Status Quo und Perspektiven. In: Babor, T.; Caetano R.; Casswell, S.; Edwards, G.; Giesbrecht, N.; Graham, K.; Grube, J.; Gruenewald, P.; Hill, L.; Holder, H.; Homel, R.; Österberg, E.; Rehm, J.; Room, R.; Rossow, I.: Alkohol - Kein gewöhnliches Konsumgut. Forschung und Alkoholpolitik. Hogrefe, Göttingen. Uhl, A. (2006): Alkoholpolitik und wissenschaftliche Forschung. Wiener Zeitschrift für Suchtforschung, 29, 3, 5-22. Uhl, A. (2006): Darstellung und kritische Analyse von Kostenberechnungen im Bereich des Substanzmissbrauchs. Sucht, 52, 2, 121-132. Uhl, A.; Kobrna, U. (2006): Alkoholspezifischer Jugendschutz in Europa. Wiener Zeitschrift für Suchtforschung, 29, 3, 43-48. Uhl, A. (2007): Begriffe, Konzepte und Menschenbilder in der Suchtprävention. SuchtMagazin, 33, 4, 3 – 11. Uhl, A. (2007): How to Camouflage Ethical Questions in Addiction Research. In: Fountain, J.; Korf, D.J. (eds.): Drugs in Society European Perspectives. Radcliffe, Oxford. Uhl, A. (2008): Die österreichische Alkoholprävention im europäischen Kontext. In: Tossmann H.P.; Weber N.H. (Hrsg.): Alkoholprävention in Erziehung und Unterricht, 2.völlig neue Auflage. Centaurus, Herbolzheim. Uhl, A. (2008): Suchtprävention zwischen Paternalismus und Emanzipation: Ethische Reflexionen. Suchttherapie, 9, 177-180. Uhl, A.; Bachmayer, S.; Kobrna, U. (2009): Chaos um die Raucherzahlen in Österreich. Wiener Medizinische Wochenschrift, 4-13